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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten
Autoren: Siegfried Lenz
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Leinen hält sie fest, wenn der Wind sie erprobt, wenn er sich grollend in ihnen verfängt – sie hier, Blatt und Schilfhalm, haben ihre eigene Takelage, fast wie diese gebogene Vogelfeder, die aber nicht so ausdauernd segeln kann, weil sie früher Wasser zieht. Leere Schrotpatronen bestätigen, daß in der Frühe der Jäger unterwegs war, daß er unter seinem selbstgemachten Tarnnetz auf die Ringelgans lauerte, auf die kluge, mißtrauische Brandgans, die mit den schwarzen Steuerfedern. Nach altem Aberglauben soll sie nicht aus dem Ei, sondern aus einem Holzstück stammen, weswegen sie als Fastenspeise so beliebt war. Jedenfalls, die Federchen sagen dir, daß zumindest eine dran glauben mußte.
    Unglaublich, was das Meer alles ausspuckt und verstreut, was es deiner Einbildungskraft anbietet. Sehnsucht nach Weite kommt da wie von selbst auf, gleich möchte man Reisepläne wälzen. Du merkst aber auch, wieviel du zu empfinden beginnst für die Geschehnisse draußen auf See. Diesem Endstück eines Tampens zum Beispiel ist anzusehen, daß er mit einer Axt Bekanntschaft machte in einem dramatischen Augenblick. Als ich es aufhob, den Sand wegwischte, als ich mit dem Daumen über die zersplisseneSchnittstelle strich, sah ich auf einmal diesen altmodischen Ewer; der Himmel war tintig, alle Zeichen standen auf Sturm, und der breitgebaute Schollenfänger floh vor dem Wetter, das da heraufzog, in eine vermeintlich ruhige Bucht. Sie warfen ihren Stockanker raus und steckten Leine nach, und eine Probe sagte ihnen, daß der Anker gegriffen hatte. Dann horchten sie auf den Sturm draußen, auf sein ordentliches Toben, und merkten nicht, wie stark die Strömung war, die in der Bucht ging, eine parallel zum Strand laufende Strömung, die sie gegen eine Steinbank drückte. Wir müssen hier weg, sagte der Schiffer zum Jungmann und schickte ihn nach vorn und befahl ihm, den Anker hochzuholen. Der aber saß fest, der hatte sich in den Aufbauten eines Wracks verfangen und ließ sich nicht ausbrechen wie aus sandigem Grund; auch als sie sich zu dritt bemühten, schafften sie es nicht. Und mit einem einzigen Axthieb kappte der Schiffer das Ankertau und warf den Stumpen ins Wasser. Sie verließen die Bucht. Der Jungmann konnte tags darauf erzählen, wie er seinen ersten Sturm abritt.
    Allmählich beginnst du zu zögern, das Wort »Meereseinsamkeit« für rechtens zu halten. Gewiß, die enorme Ausdehnung des Wassers legt es nahe, eine gewisse Einsamkeit anzunehmen, aber die Dinge, die du am Strand aufhebst, beweisen, wieviel Leben es gibt auf See. All die Schiffe, die Bojen, die Bohrinseln! Die Regatten und Traumreisen und das weltumspannende, hart kalkulierte Gewerbe der Linienschiffahrt. Wieviel Leben schwimmt da von Ziel zu Ziel! An der Kimm, gerade noch erkennbar,schleppt ein Küstenfischer, während zu gleicher Zeit ein arktischer Wind in den Antennen eines Forschungsschiffes summt. Vom ersten stammt vielleicht die ausgediente Flaschenbürste, mit der der Eigner von Zeit zu Zeit seine Taschenbuddel mit dem Patentverschluß säuberte; und es ist durchaus denkbar, daß die elektrische Birne, die einst ein Schiffsdeck erhellte, glimpflich an kalbenden Eisbergen vorbeizog und nach einjähriger Reise an deinen Strand trieb. Es muß keine Perle sein! Der Reichtum des Lebens auf See wird von anderen Dingen bezeugt.
    Nein, weder Meereseinsamkeit noch Meeresstille. Horch nur mal hin: selbst wenn es nur daliegt in seinem Glanz, wenn es, das zeitlose Meer, zu schlafen scheint, vernimmst du ein Seufzen, einen tiefen, gedämpften Atem, der die Erregungen ahnen läßt und das Verlangen, sich die Erde zurechtzufeilen. Etwas rollt da und leckt, ein sanftes Klatschen, ein Zischen und feines Murren sind noch auf dem Strand zu hören, und vielleicht erlebst du sogar einmal, wie Tümmler eine Glockenboje umspielen und sie sachte tanzen lassen, so daß sie einen dünnen, klagenden Ton von sich gibt.
    Etwas schmerzt dich beim Anblick der zerbrochenen Buddel, du weißt noch nicht, was es ist, aber wenn du das scharfkantige Ding etwas länger anguckst, wird es dir klar: da war eine Flaschenpost drin, ein unbestimmter Sehnsuchtsbrief von Asmus Asmussen. Das Meer war dagegen, daß er einen Empfänger erreichte, und zwar weniger wegen der grammatikalischen Fehler, die Asmusgemacht hatte, als einfach deswegen, weil es neugierig war, diese Flaschenpost zu lesen. So warf es die Buddel gegen einen Stein. So spülte es den Brief heraus. Ja, das Meer redet mit, und was
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