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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten
Autoren: Siegfried Lenz
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es mißbilligt, das unterbindet es, oder es läßt sich an ihm aus.
    Mich wundert es nicht, daß es eine Limonadendose, die ein Namenloser vom Ausflugsdampfer »Tom Thule« geworfen hat, zuerst verbeult und eindellt und behämmert, ehe es sie ausspuckt. Sachen dieser Art haben im Meer ebensowenig zu suchen wie eiserne Rohrstücke oder eine Stabtaschenlampe oder sogar eine ausgediente Injektionsspritze. Das freilich ändert nichts daran, daß du sie aufhebst und nach ihrer Herkunft fragst. Und schon siehst du einen falschen Dr. Crippen mit der Taschenlampe Blinksignale absetzen, glaubst dich dabei, wie die schöne, aber erfolglose Schauspielerin Susi Saluti auf mondhellem Oberdeck die Spritze zückt, um sich an der einsichtslosen Welt zu rächen, als plötzlich der Kapitän selbst auftaucht, um ihr das ersehnte Telegramm zu bringen – worauf sie die Spritze einfach ins Meer fallen läßt.
    Vollgestopft mit Nachrichten von überall her, zwangsunterrichtet auch über entlegene Vorkommnisse, muß ich angesichts des Plastikhelms sogleich an eine Bohrinsel denken, an ausgesuchte Männer, die auf ihr im Vierzehntagetörn schuften, hochbezahlt, von hoher Reizbarkeit. Ohne Zweifel hat da einer von ihnen dem ewig raunzenden Vorarbeiter Kjell Mosegrøn eine Lektion erteilt, mit dem Resultat, daß er sich, als er wieder zu sich kam, einen neuen Helm beschaffen mußte. Ein Uppercutsorgt immer dafür, daß eine Kopfbedeckung davonfliegt.
    Seltsam, wie oft sich hier am Strand ein hoffnungsloses Heimweh einstellt; vor dem Glanz der Weite, dem Abgrund spürst du auf einmal eine unerklärliche Hingezogenheit; die Unschuld unserer Anfänge kommt dir in den Sinn, das Meer, das noch seinem ersten Bild gleicht, sagt dir: du bist ganz nahe, deine Suche hat sich gelohnt. Man möchte ein Netz nach sich selbst auswerfen.
    Der Schuh dort, mit Sand gefüllt, ist ein Beleg dafür, daß das Meer den toten Matrosen behalten hat. Meist schweigt es sich aus über die Unglücksfälle, die auf ihm passieren; doch wenn das Meer es für angezeigt hält, liefert es uns die traurigen Beweise: den Schuh, den Arbeitshandschuh, die gerissene Leine, an der das Leben hing, den Spanten des gekenterten Ruderbootes, ein salzgebeiztes Stück Segel oder sogar das rostige Schloß der kapitänseigenen Schiffskiste, die Heuer und Order barg. Nun bewacht das Schloß nur noch sich selbst. Bei Hai und Hummer sind all die Dinge, die es vor unbefugtem Zugriff sichern sollte – da, wo auch der Kapitän ist, der sich, die Schiffskiste in der Hand, weigerte, seinen sinkenden Seelenverkäufer zu verlassen. Vielleicht zeugt auch die Schrubbürste, die eine lange Welle auf den Strand geworfen hat, von einem Unglück auf See. Daß du bei ihrem Anblick lächelst, liegt daran, daß dir der letzte Befehl eines Bootsmannes einfällt, mit dem er die Matrosen des sinkenden Schiffs warnt: Koomi nich anne Farv. Kann sein, daß derselbe Bootsmann einem Leichtmatrosenbefahl, weiter und weiter zu schrubben, obwohl der Dampfer sacht abblubberte. Das soll’s ja gegeben haben auf See.
    Wie der Strand leuchtet! Fast blendet dich der weiße Sand, der, je weiter du blickst, in der Ferne verflimmert. Schau lieber vor dich hin, denn beinahe bist du draufgetreten, auf das kurze Stück Stacheldraht, das wie eingebacken im Sand liegt, unscheinbar und tückisch zugleich. Kein Zaun weit und breit. Kein Gehöft in der Nähe. Wer mag es hierhergebracht haben? Dieser einsame Strand war nie befestigt, wurde nie gestürmt. Wer also? Ole Puttnaes natürlich, der alte Rumschmuggler. Das harmlose Stückchen Stacheldraht verrät ihn und seine Methoden.
    Nie brachte er seine Flaschen direkt an den Strand, er versenkte sie zunächst in den Sack seines Grundnetzes, das an vierundzwanzig Pfählen befestigt war; dort ruhten sie sicher. Mitunter waren so viele Flaschen im Netz, daß Aal und Hornhecht darauf verzichten mußten, hineinzuschwimmen. Wollte er eine Ladung absetzen, so fuhr er bei Mondschein hinaus, machte sich ganz unverdächtig an seinem Netzwerk zu schaffen, holte, etwa zu gleichen Teilen, Fische und Flaschen herauf – das war ein schönes Glänzen und Gleiten. Es ging lange gut.
    Doch in einer Nacht – er war nicht mehr allzu weit vom Strand entfernt – sah er eine Gestalt auf unbeleuchtetem Fahrrad näher kommen, und er wußte sofort, daß es Bultjohann war, der Strandgendarm. Zurückfahren konnte er nicht mehr, also warf er die Flaschen – sachte, jedenfalls nicht in hohem Bogen – ins Wasser,
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