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Wasser

Wasser

Titel: Wasser
Autoren: Terje Tvedt
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Grundwasser in London steigt aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen, aber die Stadt und die Themse sind gleichzeitig ein anschauliches Beispiel dafür, wie Veränderungen in der Natur auch die Wasserlandschaft beeinflussen. Jahrhundertelang bildete die Themse die Grundlage für Londons Stellung als Zentrum des Welthandels. Die Lastensegler konnten vom offenen Meer aus weit ins Land hineinfahren. Insofern erschuf der Fluss auch ein Stück Weltgeschichte. Doch sollte der Fluss bei verändertem Meeresgeschehen schiffbar bleiben und die Stadt nicht gefährden, waren Veränderungen notwendig. Ein wenig stromabwärts von London hat man quer über den Fluss eine fantastische hydraulische Konstruktion errichtet, die ich mir viele Male angesehen habe. Die Thames Barrier wurde in den 1970er Jahren zum Schutz gegen jene physischenEigenschaften des Flusses erbaut, die in vormodernen Zeiten einen großen strategischen und handelsbezogenen Vorteil ausmachten. Eine versenkbare, beschützende Wand aus Stahl zwischen der Stadt und dem Meer entstand. Zwischen neun schneckenförmigen Kuppeln, jede an die dreißig Meter hoch, kann innerhalb weniger Minuten die gesamte Themse abgesperrt und so das weitere Eindringen des Meerwassers in den Fluss verhindert werden. Aufgrund des steigenden Meeresspiegels und weil sich England neigt – die südlichen Landstriche der Insel sinken infolge der letzten Eiszeit jedes Jahr ein bis zwei Millimeter tiefer ins Meer – steigt die Gefahr von Überschwemmungen. In den ersten zehn Jahren seit ihrer Inbetriebnahme musste die Thames Barrier elf Mal wegen Sturmflutgefahr geschlossen werden. Im Jahrzehnt darauf, zwischen 1993 und 2003, musste sie den Fluss 79 Mal absperren. Das große Unsicherheitsmoment ist die Frage, ob die Barriere ausreichen wird, wenn der Meeresspiegel stärker ansteigt als vorausberechnet. Manche meinen, dass die Thames Barrier bereits in 20 bis 25 Jahren nicht mehr in der Lage sein wird, die Stadt zu schützen. Trifft diese Annahme zu, würde sich die Thames Barrier von einem regionalen Symbol der menschlichen Fähigkeit zur Kontrolle des Wassers in ein universelles Mahnmal verwandeln, das von der Unzulänglichkeit des Menschen zeugt, diese fließende und stets variierende Ressource vollständig zu beherrschen.
    Als ich aus England abfliege und den Atlantik und den Ärmelkanal unter mir sehe, wird mir einmal mehr bewusst, wie paradox der Name unseres Planeten ist. Im Englischen wird er
the earth
genannt, auf Afrikaans spricht man von
aarde
, im Arabischen heißt es
al-ard
(das Land oder die Erde), auf Hebräisch
ertz
, im Deutschen
Erde
und in den skandinavischen Sprachen
jord
. Das Wort
Earth
entwickelte sich aus dem altenglischen
eorðe
, was Grund, Boden, trockenes Land bedeutet. Die Erde erhielt also ihren Namen, indem sie als Widerpart des nassen Elementes definiert wurde – ein natürlicher Vorgang, denn als der Planet vor vielen hundert Jahren seinen Namen erhielt, war das menschliche Verständnis von der Erdenoch äußerst begrenzt, hatte sie niemand aus der Luft betrachtet und war sie keineswegs komplett erkundet. Heute ist uns klar, dass die Einseitigkeit des Namens unseren Blick auf die große Besonderheit unseres Planeten – das ewige und veränderliche Verhältnis zwischen Erde und Wasser, Gesellschaft und Wasser, Mensch und Wasser – lange Zeit verstellt hat.
    Das Buch besteht aus drei Kapiteln. Das erste handelt vom neuen Zeitalter der Unsicherheit – einer Unsicherheit sowohl in Bezug auf die weitere Entwicklung des Klimas, als auch auf die künftigen Wasserkreisläufe. Das zweite beschäftigt sich mit dem Kampf um die Herrschaft über das Wasser. Unsere Existenz in einem Zeitalter der Wasserunsicherheit wird dazu führen, dass sich die Auseinandersetzung um die Herrschaft über das Wasser zu einer zentralen Frage der Zukunft entwickeln wird. Da alle Menschen Wasser benötigen, resultiert daraus ein Machtkampf, dem sich niemand wird entziehen können. Das dritte Kapitel beschreibt, wie große Teile der Erde in den nächsten Jahren radikal von Wasserprojekten verändert werden, die umfassender und folgenreicher sind als jedes andere Projekt in der Geschichte der Menschheit. Hier geht es um Chancen und Risiken zugleich. Im aktualisierten Epilog gehe ich kurz auf die jüngsten Überschwemmungen in Mitteleuropa ein und greife die daraus resultierenden Anforderungen für die Zukunft auf.

Die neue Wasserunsicherheit
    Die Art und Weise, wie die Menschen heute
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