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Wasser

Wasser

Titel: Wasser
Autoren: Terje Tvedt
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fließen? Führt dies zu einer deutlichen Erhöhung des Meeresspiegels? Sind massive Überschwemmungen in Europa, den Südstaaten der USA und in Indien nur Vorboten künftiger Extremwetterlagen? Oder wird es, wie einige Wissenschaftler behaupten, weniger Regen geben und sich ein Drittel der Erde bis zum Jahr 2100 in eine Wüste verwandeln? Werden in Zukunft Kriege um das Wasser geführt, weil der Mensch ohne Wasser nicht existieren kann? Grundlegende und tagesaktuelle Fragen über die Zukunft der Menschheit werden überall gestellt, und zum ersten Mal in der Geschichte drehen sich diese um die Rolle des Wassers und unsere Fähigkeit, es zu kontrollieren.
    Wenn es darum geht, die Rolle des Wassers in der Gesellschaft und die Folgen für die soziale Entwicklung zu begreifen, ist das Reisen unumgänglich. Johann Wolfgang von Goethe sagte, dass den Geruch Chinas kennen müsse, wer das Land verstehen wolle. Mit weitaus größerem Recht ließe sich sagen, dass es zweckdienlich ist, mit eigenen Augen – und offenen Sinnen – zu betrachten, wie die Flüsse sich ihren Weg bahnen, wie der Niederschlag die Vegetation prägt und wie die Menschen versuchen, ihr Leben dem vorhandenen Wasser anzupassen und es möglichst zu kontrollieren. Reisen ist meine Methode, um die Besonderheiten des Wassers zu erfassen und um zu begreifen, dass es sich dabei sowohl um Natur als auch um Kultur handelt.
    Die großen klassischen Flussreisen sind noch immer von einer märchenhaften Aura umgeben. Man denke zum Beispiel an die Flussexpedition in Joseph Conrads Erzählung »Herz der Finsternis« (1899) – eine den Kongo hinaufführende Reise, die zugleich eine Fahrt ins Zentrum des Bösen symbolisiert. Oder an Mark Twains Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn (1876/84), die mit ihrem Floß den Mississippi hinunterfuhren. Ganze Regale werden von Reisebeschreibungen über die großen Ströme der Welt wie den Amazonas, den Jangtse, den Ganges oder den Rhein gefüllt. Flussreisen sind noch immer äußerst faszinierend – und da die Hälfte der Menschheit an irgendeinem Flusslauf lebt, der mehr als nur ein Land durchschneidet, kann das »Sich-mit-dem-Stromtreiben-Lassen« durchaus Wichtiges über die Welt vermitteln.
    Die Wasserreisen in meinem Buch hingegen haben einen anderen Ansatz. Sie folgen durchaus nicht nur einem Fluss, lassen diesen nicht Rahmen und Verlauf der Geschichte bestimmen, sondern orientieren sich an Kontrasten, die durch Reibungen zwischen der Geografie des Wassers und dem Charakter von Gesellschaften erkennbar werden. Von Las Vegas und dem Wasserlauf des Colorado bis zu den Quellen des Brahmaputra in Tibet und dem DreiSchluchten-Damm in China, von verarmten Nomadengesellschaften in Afrika und Asien zu den europäischen und amerikanischen Großstädten, von der Regenküste Skandinaviens bis zur Sahara und den Wüsten in Oman, von den die Schönheit des Wassers preisenden Fontänen bis zu den größten Staudämmen der Welt: In all seinen Formen habe ich das Wasser aufgesucht, bin durch große Flusstäler gewatet, habe mit Wasserexperten und Politikern auf der ganzen Welt gesprochen. Besessen von der Vielfalt und Schönheit des Wasser bin ich umhergereist, fasziniert von seinen charakteristischen Eigenheiten: ewig pulsierend, mehr oder weniger unaufhaltbar in eine Richtung fließend, jedoch mit scheinbarer Ehrfurcht allen Hindernissen ausweichend.
    Ich beginne diese Reise so trivial wie möglich, auf einer Bank im Londoner Hyde Park. Seine Speakers’ Corner hat ihn weltberühmt gemacht, doch heute sind es vor allem die Rasenflächen, die Bäume und sein See, der Serpentine, welche die Menschen anziehen. Obwohl die Wolken regenschwer über den Baumwipfeln hängen und die Tauben leicht verfroren über den Asphalt trippeln, bin ich nicht der Einzige, der hier sitzt und gedankenverloren den Blick über das Gewässer schweifen lässt. Angelegt wurde der 11,34 Hektar große Serpentine im Jahre 1730, ursprünglich um den River Westbourne einzudämmen, einen Nebenfluss der Themse, der nun jedoch durch unterirdische Rohre verläuft und circa 300 Meter oberhalb der Chelsea Bridge in die Themse mündet. Alle im Park scheinen sich von dem Wasser angezogen zu fühlen. Ich weiß nicht, ob es an der ruhigen Oberfläche liegt, in der sich Wolken und Bäume spiegeln, oder an den sich wiederholenden, aber niemals identischen Bewegungen der Wasserstrahlen im Springbrunnen. Zu allen Zeiten und an allen Orten fühlten sich die Menschen zum
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