Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was weiß der Richter von der Liebe

Was weiß der Richter von der Liebe

Titel: Was weiß der Richter von der Liebe
Autoren: Klaus Ungerer
Vom Netzwerk:
jeden Tag bete er für die jeweilige Schleckermarkt-Kassiererin, dass sie darüber hinwegkomme und eines Tages wieder arbeiten könne, hochachtungsvoll, der Karabinerhakenräuber.
    Die Schleckermarkt-Kassiererinnen sind außer sich. Nicht genug, dass da einer immer von hinten kam, dass der immer erkundet hatte, wann sie im Laden allein waren; nicht genug, dass er die Damen in den Arm nahm, zu ihnen sprach: »Ich brauche deine Hilfe!« respektive »Keine Angst, dir passiert nix, ich möchte nur das Geld« respektive »Das geht nicht gegen dich« oder, abschließend, nach stattgehabter Umarmung und Kassenentnahme: »Jetzt kannst du auch die Bullen rufen.« Nun müssen sie sich also auch noch mit seinen Gebeten und seiner Familie befassen. Nacheinander legen sie im Gerichtssaal Zeugnis ab, sie finden es »ganz ehrlich frech«, oder sie kriegen es mit der Angst zu tun, oder im günstigsten Fall urteilen sie: »Is’ lieb jemeint, aber trotzdem war es ein tiefer Eingriff in meine Persönlichkeit in dem Moment.«
    Wie tief? Frau Stephan (»Er sagte ›Entschuldigung‹ und verließ den Laden«) ist heute noch in psychologischer Behandlung, Tabletten bekommt sie auch, wegen der Panikattacken; seit sechs Wochen ist sie jetzt zu Hause. Frau Preuß (»Er roch sehr unangenehm nach Rauch, ich fand’ ihn sehr schmuddelig«) traut sich bis heute in keinen »Schlecker« mehr rein; sie erschrickt, wenn jemand sie von hinten anspricht; ist krank geschrieben. Frau Kruse, vierundzwanzig, sagt: »Ich habe mein Geschäft gebeten, mich zu kündigen.« Jetzt hat sie eine Lehrstelle als Zweiradmechaniker.Als was? Der Richter versteht nicht gleich. Zweiradmechaniker! Motorräder schrauben! »Gut! Sehr gut!« Da strahlt der Richter, und er wünscht der Zeugin viel Glück im Beruf: »Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen das Spaß macht.«
    Nein, das sind keine gefährlichen Gegenstände: die Umarmungen nicht, nicht der Geruch nach altem Schweiß und kaltem Rauch, nicht das Duzen und die Zutraulichkeit; auch ist es wohl nicht strafverschärfend zu werten, wenn einer sich immer einsame Frauen aussucht für seine Überfälle, und der Karabinerhakenräuber mit seinen immens großen traurigen Augen, die er in den schlimmeren Momenten der Verhandlung, Vergebung suchend, ins Publikum wendet, er kann plausibel darlegen, dass ja niemand sonst in Frage kam für ihn: »Wegen meiner körperlichen Verfassung hätte ich mich gar nicht getraut, einem Mann gegenüberzutreten.«
    Das alles interessiert den Gesetzgeber nicht so. Der Gesetzgeber möchte wissen: Wie gewaltsam war die Umarmung? In einem Fall, befindet der Richter, habe Frau Preuß die Armbeuge des Karabinerhakenräubers, einem Schwitzkasten gleich, am Hals gespürt. »Das müsste für den Gewaltbegriff reichen.« Weiter interessiert den Gesetzgeber: War der Karabinerhaken denn nun ein gefährlicher Gegenstand? Der Karabinerhakenräuber hat den eigentlich nur so dabeigehabt, da waren seine Fahrradschlüssel dran. Ob er aber, dreizehn Zentimeter lang, vielleicht dennoch eine Bedrohung darstellte? Der Richter bittet zur Pantomime. Der Karabinerhakenräuber selbst scharwenzelt den Tathergang an seiner Anwältin vor; sehr zart, sehr freundschaftlichsieht das aus, wie er sie hinführt zur luftigen Kasse; die Gegenprobe leistet dann Frau Kruse, die künftige Zweiradbastlerin, sie hält den Karabinerhaken in Händen, sie hält ihn hoch, sie ist jetzt der Räuber, als Opfer volontiert einmal mehr die duldsame Beisitzerin. Der echte Räuber fragt dazwischen – ob er nicht gesagt habe: Es passiert dir nichts? »Nein! Sie haben gesagt: Mach die Kasse auf, dann passiert dir nichts.«
    Am Ende aller Darbietungen befindet der Richter: Einmal von fünf sei der Karabinerhaken, ob nun bewusst oder nicht, wie ein Schlagring gehalten worden, einmal kam es zu einer schwitzkastenähnlichen Verrichtung. Unterm Strich ergibt sich für die fünf Einzelfälle eine Mixtur aus schwerem Raub und Diebstahl, der Karabinerhakenräuber muss für zwei Jahre und sieben Monate in Haft – Maßregelvollzug in einer Entziehungsanstalt. Der Karabinerhakenräuber ist da einverstanden soweit, eine Entziehung wäre ihm wichtig, sagt er, und »dass ich mich wieder in die Gesellschaft eingliedern kann und um mein Kind kämpfen«. Für alle Zukunft mahnt der Richter: »Es kann immer passieren, dass Sie auf Personen stoßen, bei denen so etwas ein Trauma hervorruft. Wenn man als Täter Glück hat, trifft man auf ein Opfer, das das besser
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher