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Was weiß der Richter von der Liebe

Was weiß der Richter von der Liebe

Titel: Was weiß der Richter von der Liebe
Autoren: Klaus Ungerer
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Jörg Gaul telefonisch eine verheulte Teilbeichte entgegengenommen hat – Verena sei da in etwas hineingeschlittert! Montag werde sie alles überweisen! –, ist sein Geist doch noch nicht völlig befriedigt, immer nur mehr lernen will er, und mit ihm sein Kompagnon Dr. Dehmel: Mit Hilfe von Google gelingt es ihnen binnen Minuten, Verenas Vater ins Leben zurückzurufen, und bei der Mutter tut’s ein Anruf, dass sie sich als springlebendig erweist: Von da an wird es doch schon schwierig, sich auf die Inhalte von Verenas Erklärungen zu konzentrieren,als sie Montag früh im Büro aufschlägt. Stattdessen nimmt man ihr den Schlüssel zu ihrem »Schrottauto« ab, das sich fortan geehrt fühlen darf, als Sicherheit für verschwundene gut 170   000 Euro herhalten zu dürfen, die die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift verlesen wird. Und Verena Haake, bei allem Missmut, erfährt vor Gericht doch auch Bewunderung durch die Geschädigten: Ein dreifaches Buchhaltungsgenie sei sie, eine Erbauerin »hochkomplexer Lügengebäude«! Nun darf sie ihrer bunten Biografie, in der sich bereits ein ausgedachtes Krebsleiden und dito sexueller Missbrauch durch den Vater sowie gefälschte Universitätszeugnisse und eine Vorstrafe wegen Untreue befinden, darf diesem abenteuerlichen Wust eine viereinhalbjährige Gefängnisstrafe hinzufügen, wird sich vorher aber noch erheben und mit ihrer Mittelstufenreferats-Piepsstimme sagen: Der Staatsanwältin möchte sie noch mal für ihre Haft danken, ein heilsamer Schock sei die gewesen; als Zeichen ihres guten Willens habe sie einen gewissen Betrag an die Geschädigten überwiesen, das Gehalt in der JVA aber sei ja leider so gering – und freuen würde sie sich, wenn sie eine Haftunterbrechung bekäme.

ICH WOLLTE SOGAR SELBER ZUR POLIZEI GEHEN
    Dieses Mal ist Herr Gül da so hineingeraten, nee, also ehrlich. Und Herr Gül, Name geändert, wird aussagen! Natürlich wird Herr Gül aussagen, wird mithelfen, dieses Netz zu zerreißen, das ihn einfing und in dem er sich wand, keinen Ausweg findend. Die Anklageverlesung zieht sich ein bisschen, denn knapp fünfzig Fälle sind es, die hier nun verhandelt werden sollen. Dann aber kommt er zu seinem Recht: Herr Gül, viel zu lange schon sitzt er in Untersuchungshaft und sehnt sich nach seiner Familie, die in Mannschaftsstärke (Basket- bis Handball) den Gerichtssaal bevölkert. Jetzt federt er aus einer ungewissen, halbgekippten Rückwärtshaltung, von der aus er träumerisch in die Decke plinkerte, aufwärts, denn die Richterin hat ihn eingeladen, nach vorne zu kommen.
    Die Richterin ist eine verständige, interessierte Frau: Ihr wird Herr Gül bezüglich aller Vergehen sein Herz offenlegen – »Es tut mir weh! Wenn ich das zurück machen könnte! Aber kann ich nicht mehr!« –, ja, und seine Geschäftspraktiken auch. Er wird die Rolle, die er gespielt hat, vor ihr aufblättern, wird, was in seiner Macht steht, beitragen, zu entflechten das Geflecht. Herr Gül, 54 Jahre jung, federt spitz beschuht vorwärts, ein schwarzglänzender kurzer Ledermantel umhüllt ihn, angesilberte Locken wippen ums teigige Gesicht, und wie er da voranprescht, ist es schwer, ihn sich nicht als Siebzigerjahre-Schlagersänger aufÜ40-Tournee vorzustellen, oder Ostwinnetoudarsteller der Reserve vielleicht.
    Herr Gül nimmt den Zeugenplatz ein, seine Bühne für die nächste Stunde. Er weiß, dass er nur diesen einen Auftritt hat, um dieser Bühne und dieses Landes nicht für immer verwiesen zu werden. Herr Gül war nämlich schon einmal in so eine dumme Sache verwickelt, und damals, 1999, hat er sich von seinem laufenden Prozess aus sogar vorübergehend in die Türkei abgesetzt. Dort gab er dann türkischen Fernsehsendern Interviews und rief zwischendurch täglich bei Staatsanwaltschaft und Gericht an, um zu hören, wie es um seine Sache nun stehe. Diesen Herrn Gül kann nur eines noch retten, damit er in Berlin bei seiner Familie bleiben kann. Und das ist Paragraph 46b StGB, in Kraft erst seit dem 1. September 2009: die Kronzeugenregelung. Wen das Missgeschick ereilt, an schweren Straftaten beteiligt zu sein, der kann hier Zuflucht finden, kann sich ein kleines Glück im Unglück schmieden. Der packt umfassend aus. Was seine Strafe dann mildert.
    In Herrn Gül hat die Kronzeugenregelung ihren König gefunden: Er ist kein verdruckster, verstockter, vom dumpfen Gewissen geknebelter Schweigeganove, ein vollumfänglicher Vulkan ist er. Mit knatterndem Zuwanderungsdeutsch
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