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Was Liebe ist

Was Liebe ist

Titel: Was Liebe ist
Autoren: Ulrich Woelk
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rechnet«, sagt Rolf. »Wann kommst du zurück?«
    Obwohl durch die Kleidung verändert, erkennt man ihn in der Notaufnahme des Admiraal de Ruyter Ziekenhuis in Middelburg sofort wieder. Man empfängt ihn sehr freundlich und mit einer erfreulichen Neuigkeit: Zoe steht nicht mehr unter Narkose. Sie ist noch stark geschwächt, aber er kann sie besuchen.
    Er nickt und bedankt sich für das Angebot. Aber er nimmt es nicht an. Stattdessen bittet er um die Konsultation eines Neurologen, und zwar in eigener Sache. Er wird in ein Behandlungszimmer geführt und muss warten. Es riecht nach den üblichen Desinfektionsmitteln. Krankheitserreger kann man abtöten, Gedanken nicht. Er setzt sich und versucht, nichts zu denken.
    Es dauert etwa eine halbe Stunde, bis die Tür sich öffnet. Eine Ärztin, ungefähr in Zoes Alter, mit farbiger Haut und schönen dunklen Augen begrüßt ihn. Es gefällt ihm nicht, dass er ihr in diesem ausgeleierten Naturburschen-Aufzug gegenübertritt. Gleichzeitig wundert es ihn, dass er in der gegebenen Situation noch Eitelkeit empfinden kann. Aber vielleicht ist das ja ein gutes Zeichen.
    Er erklärt ihr seine Lage, verschweigt ihr aber den Anfall der vergangenen Nacht. Denn dann müsste sie auf einem EEG bestehen, und er fände sich unversehens in der Neurologie wieder – womöglich neben Zoe. Stattdessen bleibt er bei der Version vom anfallsfreien Epileptiker, dem das Medikament ausgegangen ist. Er zeigt ihr – das war es ja, waser schon vor zwei Tagen tun wollte, bevor Zoe unerwartet im Hotelzimmer stand  – gleichsam als Epilepsieausweis die aufgebrauchte Schachtel Topamax.
    Es sind ein paar Telefonate erforderlich  – noch einmal mit Grunder in Frankfurt und Grunders Kollegen im Amsterdam –, bevor man ihm eine Schachtel Topamax aushändigt. Er bedankt sich und steckt sie ein. Als er das Krankenhaus verlässt, achtet er darauf, nicht ausgerechnet in diesem Moment Piet und seiner Mutter über den Weg zu laufen. Er nimmt an, dass man die beiden inzwischen informiert hat, dass Zoe ansprechbar ist. Vielleicht sind sie schon bei ihr. Vielleicht teilen sie ihr gerade in diesem Moment mit, dass er nicht ins Krankenhaus kommen wird. Dass er überhaupt nicht mehr kommen wird.
    Auf einem der schmalen Dämme, die die Nordsee von der Scheldemündung trennen, hält er an. Er setzt sich auf eine Bank in den Dünen und betrachtet das graugrüne Meer. Es gibt kein Muster in den Wellen. Er denkt an den Parkplatz, auf den Zoe ihn mitten in der Nacht gelotst hat. Er würde ihn jetzt nicht mehr finden. Irgendwann stellt er fest, dass er tatsächlich weint. Jemanden, mit dem er über alles reden könnte, gibt es nicht.
    Nach anderthalb Stunden erreicht er Noordwijk. Wie beim letzten Mal parkt er in der rot geziegelten Straße mit den kleinen gepflegten Vorgärten. Kurz nachdem er geklingelt hat, öffnet Tante Lisa.
    »Komm herein«, sagt sie. »Ich habe mir gedacht, dass du noch einmal kommen würdest. Möchtest du Kaffee?«
    »Ja, gerne.«
    Im Wohnzimmer fällt sein Blick als Erstes auf die beiden Landschaftsgemälde. Bei seinem ersten Besuch hat er sie nur am Rande wahrgenommen, jetzt springen sie ihm sogleich ins Auge. Seine Mutter hat sie gemalt, das sieht er nun. Sie zeigen die Dünen, wie man sie sehen möchte: als helle friedliche Idyllen.
    Nicht die Dünen, an die er sich erinnert. Die Dünen, in denen Zoe ihn von sich stößt und nach ihm schlägt. Sie haben trotzdem miteinander geschlafen – oder was auch immer. Sie hatten Sex. Danach ist Zoe schwimmen gegangen. Erst jetzt wird ihm klar, was sie dabei riskiert hat. Einen Anfall im Meer hätte sie nicht überlebt.
    Er sagt: »Ich war bei meiner Mutter.«
    »Du hast wieder Kontakt zu ihr?«
    Weil es die Geschichte abkürzt, sagt er: »Ja.«
    »Das ist gut. Wie geht es ihr …«
    Die Frage schwebt ein wenig vage in der Luft. Er glaubt zu wissen, warum, und sagt: »Wir haben über dich gesprochen. Ich meine, sie hat dich erwähnt.«
    »Deine Mutter? Eigentlich kannten wir uns nicht so gut.«
    Er setzt sich. »Wirklich nicht? Weißt du, was sie gesagt hat: Dass ich mit dir sprechen muss, um zu erfahren, warum sie meinen Vater und mich verlassen hat.«
    Lisa geht in die Küche und kommt mit der Kaffeekanne zurück. »So war sie schon immer. Sie neigt dazu, die Verantwortung auf andere abzuwälzen. Was sie meint, ist, dass ich sie auf die Vergangenheit der Firma aufmerksam gemacht habe. Aber eigentlich war das damals kein Geheimnis.«
    Er hebt
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