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Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Titel: Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
Autoren: Louise Doughty
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liegen gelassen habe, und ziehe ihn über den Schlafanzug, befreie mein Haar aus dem schweren Kragen. Ich sehe mich nach meinen Hausschuhen um, finde sie aber nicht, tapse also barfuß in die Küche.
    David sitzt am Tisch, sein graues Haar wirr, Bartstoppeln auf den Wangen, die Haut etwas schlaff – er hat abgenommen. Wie viel älter wir beide sind. Vor ihm auf dem Tisch liegt aufgeschlagen ein großes Fotoalbum. Ich erkenne es als eins aus der Anfangszeit unserer Ehe, als Betty ein Baby war. Ich habe nicht gewusst, dass er das hatte, denke ich. Ich habe geglaubt, ich hätte die meisten behalten.
    Er schaut nicht auf, als ich den Raum betrete. Leise gehe ich zum Wasserkocher, fülle ihn an der Spüle, stecke ihn wieder ein und schalte ihn an. Während ich warte, dass das Wasser kocht, lehne ich mich an die Arbeitsfläche und stelle einen Fuß auf den anderen, reibe die Fußsohle daran. Die Bungalowküche hat nicht nur einen Schieferplattenboden, sondern auch eine Arbeitsfläche aus Granit. Sie ist kalt und hart. Am Vortag ist mir ein Becher heruntergefallen und in hundert Scherben zersprungen.
    David blättert im Fotoalbum; leise laufen ihm die Tränen über die Wangen. Ich erhasche einen Blick auf die Bilder, während er die Seiten umschlägt – Betty auf einer Schaukel in einem Garten, nicht unserem. Betty mit jedem Tuch und Hut verkleidet, die sie im Haus finden konnte. Betty, Betty, Betty … wie tariert er seine Trauer um Chloe mit seiner Trauer um sie aus? Das übersteigt mein Fassungsvermögen, dabei hatte ich mich für eine Expertin auf dem Gebiet gehalten.
    »Es ist ein Gefühl, als ob ich bestraft werde«, sagt er, ohne aufzuschauen. »Für das, was ich dir und den Kindern angetan habe. So fühlt es sich an.«
    Es ist nicht das erste Mal, dass er das sagt. Ich gehe zu ihm, lege ihm den Arm um die Schultern und ziehe ihn an mich. Er vergräbt den Kopf an mir. Ich bücke mich und küsse ihn auf den Scheitel. »Das stimmt nicht«, sage ich. Er schlingt die Arme um meine Taille und zieht mich fest an sich. Seine Umarmung ist so vertraut, immer noch, nach allem, was war. Mein Körper hat nicht vergessen, wie sich seiner anfühlt. So verharren wir lange, lassen das heiße Wasser vor sich hin kochen, vor uns auf dem Tisch das Fotoalbum.
    Nach einer Weile weiche ich zurück und mache mich von ihm los. Aus dem kleinen Zimmer hinten im Flur ertönt ein Kinderwimmern. »Hast du gehört?«, frage ich.
    Er schüttelt den Kopf.
    »Ich seh nur mal nach den Jungs.« Ich gehe zur Tür.
    »Laura«, sagt er. Es ist immer noch seltsam und schön, ihn meinen Namen sagen zu hören.
    Auf der Schwelle drehe ich mich um. Er sieht mich an.
    Als ich zurückkomme, nachdem ich nach den Jungs gesehen habe, stehe ich an den Rahmen gelehnt in der Küchentür. David sitzt immer noch am Tisch, mit dem Rücken zu mir – entweder hat er mich nicht kommen gehört, oder er ist so in Gedanken versunken, dass das Geräusch nicht bis zu ihm durchgedrungen ist. Er dreht sich nicht um, lässt die Schultern hängen, stützt den Kopf in beide Hände. Von da, wo ich stehe, lässig angelehnt, mit verschränkten Armen, sieht er nach dem aus, was er ist: ein gebrochener Mann. Er sieht aus wie ein Mann auf einem Gemälde, denke ich, dem Ölbild eines berühmten Künstlers. Es gibt Künstler, die dieses Licht so hinkriegen – wie es in einem gelben Oval von der tief hängenden Lampe auf den Küchentisch fällt, wie dieses Oval den Rest der Küche in dunkle Silhouetten verwandelt, als wären Küchenschränke, Herd und Spüle missgünstige Wesen, die sich um das Licht scharen. David ist starr wie Stein.
    Was ich in jener frühen Zeit für David empfunden habe, hätte sich nicht zu einer Ehe mit Kindern auswachsen sollen – es war eine Liebe, wie sie Ehebrecher verspüren, leidenschaftlich und voller Begierde. Sie hätte herunterbrennen sollen, wie bei solchen Strohfeuern üblich, doch stattdessen wurde etwas anderes darauf aufgebaut, richtige Liebe, tief, vertraut und gegenseitig, aus der zwei Kinder erwuchsen. Mehr ist vielleicht einfach nicht dahinter, denke ich, während ich dastehe und diesen eingesunkenen Mann an seinem Küchentisch betrachte, hinter dem ganzen Konstrukt, Liebe oder wie auch immer wir es nennen wollen – ein rohes Bedürfnis, rau wie Baumrinde, eine so starke Angst vor dem Tod, dass wir nicht anders können, als in der Kälte und Dunkelheit miteinander zu schlafen. Aber wenn das so ist, denke ich, den Blick auf Davids Hinterkopf
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