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Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)

Titel: Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
Autoren: Hans Küng
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den 60er Jahren möglich und notwendig waren, warum soll dann eine Entfaltung des Artikels 29 durch eine Ausformulierung dieser Pflichten in den 90er Jahren illegitim sein? Im Gegenteil: Gerade von daher wird deutlich, daß Menschenrechte und Menschenpflichten sich für die Gesellschaft nicht gegenseitig begrenzen, sondern – jeder Menschenrechtler sollte dies als eine Verstärkung seiner Position erkennen! – fruchtbar ergänzen . Nicht umsonst ist in diesem Artikel 29 von »den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft« die Rede. Doch muß in der Verhältnisbestimmung von Rechten und Pflichten die asymmetrische Struktur beachtet werden.
    Nicht alle Pflichten folgen aus Rechten
    1. Die entscheidende Frage, ob ausgesprochen oder unausgesprochen, lautet, warum es überhaupt neben einer Inanspruchnahme von Rechten auch die Besinnung auf Pflichten braucht. Darauf ist zu antworten: Alle Rechte implizieren Pflichten, aber nicht alle Pflichten folgen aus Rechten ! Drei Beispiele:
    a. Die Pressefreiheit einer Zeitung oder eines Journalisten wird vom modernen Rechtsstaat garantiert und geschützt; der Journalist, die Zeitung haben das Recht der freien Berichterstattung. Dieses Recht muß der Staat aktiv schützen und zur Not auch mit Gewalt durchsetzen. Deshalb haben Staat und Bürger die Pflicht , dieser Zeitung oder dieses Journalisten Recht auf freie Berichterstattung zu respektieren. Aber: Mit diesem Recht ist noch keineswegs die (seit dem Tod der Prinzessin Diana weltweit diskutierte) Pflicht des Journalisten oder der Medien selber angesprochen, die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß zu informieren und Sensationsberichte zu unterlassen, welche die Würde der menschlichen Person erniedrigen (vgl. Art.   14 der Pflichtenerklärung). Daß sich hingegen aus der Meinungsfreiheit, wie vom Kritiker behauptet, eine Verpflichtung, »andere nicht zu beleidigen«, ableite, ist eine Behauptung, die kaum ein Jurist unterschreiben wird.
    b. Auch das Recht auf Eigentum eines jeden Menschen wird vom modernen Rechtsstaat garantiert. Es enthält die rechtliche Pflicht für andere (den Staat oder einzelne Bürger), dieses Eigentum zu respektieren und sich nicht daran zu vergreifen. Aber: Mit diesem Recht ist keineswegs auch schon die Pflicht des Eigentümers selber angesprochen, das Eigentum nicht unsozial, sondern sozial zu gebrauchen (im deutschen Grundgesetz als Pflicht festgeschrieben), die offensichtlich unstillbare Gier des Menschen nach Geld, Macht, Prestige und Konsum zu zügeln und ökonomische Macht im Dienst wirtschaftlicher Gerechtigkeit und sozialer Ordnung zu gebrauchen (vgl. Art.   11).
    c. Die Gewissensfreiheit eines jeden Menschen, nach seinem ureigenen Gewissen entscheiden zu dürfen, enthält die rechtliche Pflicht für ihn selbst und für andere (Individuen wie Staat), jede freie Gewissensentscheidung zu respektieren; die Schutzwürdigkeit des individuellen Gewissens ist in Demokratien verfassungsmäßig garantiert. Aber: Mit diesem Recht ist keineswegs die ethische Gewissenspflicht des einzelnen selber festgehalten, in jedem Fall seinem ureigenen Gewissen zu folgen, auch und gerade dann, wenn ihm dies unangenehm oder zuwider ist.
    2. Daraus folgt: Rechte beinhalten auch gewisse Pflichten, rechtliche Pflichten nämlich. Aber keineswegs folgen alle Pflichten aus Rechten. Es gibt auch eigenständige ethische Pflichten , die direkt in der Würde der menschlichen Person gründen. Schon früh in der theoretischen Debatte hierüber wurden zwei Pflichtentypen unterschieden: Pflichten im engeren Sinn, »vollkommene«, eben rechtliche Pflichten und andererseits Pflichten im weiteren Sinn, »unvollkommene«, eben ethische Pflichten wie Gewissens-, Liebes- und Humanitätspflichten. Diese beruhen auf der eigenen Einsicht und können vom Staat per Gesetz gerade nicht erzwungen werden.
    3. Das Ethos erschöpft sich somit nicht im Recht. Die zusammenhängenden Ebenen des Rechts und des Ethos sind grundsätzlich zu unterscheiden , was besonders für die Menschenrechte von Bedeutung ist:
    –   Menschen haben fundamentale Rechte, wie sie in den Menschenrechtserklärungen ausformuliert sind. Ihnen entsprechen die rechtlichen Pflichten sowohl des Staates wie der einzelnen Bürger, diese Rechte zu achten und zu schützen. Hier sind wir auf der Ebene des Rechts , der Gesetze, der Paragraphen, der Justiz, der Polizei … Das äußere, gesetzeskonforme
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