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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition)
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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Verfälschung historischer Tatsachen. Von den 300.000 Parteimitgliedern, die die KPD 1933 hatte, wurden von den Nazis 150.000 verfolgt, eingekerkert oder ermordet. Ein bitteres Zeugnis des opferreichen Kampfes der KPD gegen Faschismus und Krieg, der im heutigen Deutschland kaum gewürdigt wird.
    Seit es die DDR nicht mehr gibt, wiederholen Politiker und Medien gebetsmühlenartig ein unvollständiges Zitat Ulbrichts von einer Pressekonferenz am 15. Juni 1961. »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten«, geht der halbe Satz. Ulbricht fügte aber an: »Wir sind für vertragliche Beziehungen zwischen Westberlin und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik.« Dass er eine vertragliche Lösung favorisierte, wird absichtlich verschwiegen. Schließlich soll mit der Zitatenverstümmelung nachgewiesen werden, dass Ulbricht ein Lügner war. Die politische Logik wird völlig ausgeblendet: Wenn der Stratege Ulbricht zwei Monate vor dem 13. August 1961 eine »Mauer« geplant oder bereits deren Bau beschlossen hätte, wäre er wohl nicht so töricht gewesen, dies auf einer internationalen Pressekonferenz auch noch zu bestreiten. So etwas widersprach seinem Charakter.
    In jener Zeit gingen Moskau und Berlin noch von einem Friedensvertrag aus, den Chruschtschow anderthalb Wochen zuvor bei seinem Gipfeltreffen mit Kennedy in Wien mit der DDR abzuschließen angekündigt hatte – für den Fall, dass keiner mit »Gesamtdeutschland« zustande käme. Die Auseinandersetzungen zwischen den USA und der UdSSR spitzten sich in der Folgezeit dramatisch zu. Die Achillesferse war die offene Grenze zwischen NATO und Warschauer Vertrag in Berlin. Es ging um die Lebensfrage: Krieg oder Frieden. 9 Die Staats- und Parteichefs der Warschauer Vertragsstaaten beschlossen erst auf ihrer Zusammenkunft vom 3. bis 5. August 1961 in Moskau jene Maßnahmen, die dann am 13. August 1961 verwirklicht wurden.
    Gern wird Ulbricht mit Etiketten versehen. Für die einen ist er ein Dogmatiker, für die anderen ein Reformer. Beides wird ihm nicht wirklich gerecht. Zweifellos war auch er nicht frei von dogmatischen Ansichten, die es unter Stalins Einfluss in der kommunistischen Weltbewegung gab. Das hat auch in der DDR zu Fehleinschätzungen und falschen Entscheidungen beigetragen. Doch er war ein schöpferischer Mensch. Stellte stets die Frage, was besser zu machen sei. So kam in den 60er Jahren ein umfassendes sozialistisches Reformprogramm zustande. Vom Jugendkommuniqué bis zu grundlegenden Staats- und Rechtsfragen. Ob die DDR damit besser vorangekommen wäre, lässt sich nachträglich insofern schwer beurteilen, weil beispielsweise wichtige Dinge, wie das Neue Ökonomische System der Leitung und Planung, praktisch nicht richtig in Gang kamen.
    Ulbricht war ein überzeugter Freund der Sowjetunion. Gerade wegen seiner internationalistischen Haltung setzte er sich für die nationalen Interessen der Deutschen ein. Ob bei Stalin, Chruschtschow oder Breshnew – er war kein Speichellecker. Er sprach auch heikle Themen an. Er war ihnen kein bequemer, immer aber ein aufrichtiger Partner.
    Nachdem Gorbatschow, seine Neben- und Hintermänner fast 20 Jahre nach Ulbrichts Tod die UdSSR von oben zerstört und zuvor die DDR auf dem Silbertablett an Helmut Kohl übergeben hatten, bewegte viele die Frage (und sie tut es noch): War unser großer Bruder immer ehrlich zu uns? Wie souverän war die DDR eigentlich?
    Ich trenne beide Fragen nicht vom 8. Mai 1945. Auch nicht von der Last, die die Sowjetunion weltweit für die Erhaltung des Friedens trug. Die DDR war gegenüber der UdSSR nicht mehr und nicht weniger souverän als die Bundesrepublik gegenüber ihren Besatzungsmächten auch. Beide waren Mitglied des jeweiligen Militärbündnisses. Mir ist in Erinnerung, wie Leonid Breshnew im Juli 1970 Erich Honecker mahnte: »Die DDR ist das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges, unsere Errungenschaft, die mit dem Blut des Sowjetvolkes erzielt wurde. […] Wir haben doch Truppen bei euch. Erich, ich sage dir offen, vergiss das nie: Die DDR kann ohne uns, ohne die Sowjetunion, ihre Macht und Stärke nicht existieren. Ohne uns gibt es keine DDR.« 10
    Niemand aus der DDR-Führung stellte diesen Grundsatz jemals infrage. Er gehörte zu unseren politischen Lebensregeln. Er wurde auf schicksalhafte Art und in diametral gegensätzlicher Bedeutung sogar von Gorbatschow bestätigt. Als nämlich die Stärke und die Macht der Sowjetunion verspielt waren, traf dies auch ihren kleinen
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