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Wallander 07 - Mittsommermord

Wallander 07 - Mittsommermord

Titel: Wallander 07 - Mittsommermord
Autoren: Henning Mankell
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Wind gelauscht. Zu keinem Zeitpunkt hatte er an Larstam gedacht. Oder an das Polizeipräsidium. Oder auch nur an Ystad.
    Obwohl er nur vier Stunden geschlafen hatte, fühlte er sich ausgeschlafen, als er erwachte. Er blieb im Bett liegen und blickte in die Dunkelheit. Erst um sieben stand er auf, zog sich an und ging nach draußen. Westin hatte recht gehabt. Der Wind war abgeflaut. Ein Thermometer neben dem Küchenfenster zeigte fast null Grad. Schwere Wolken hingen am Himmel. Er folgte dem Pfad zum Meer. Rasch war er zu den Klippen hinuntergekommen. Vor ihm erstreckte sich das offene Meer. Westins Boot lag seitlich in einer Bucht, die gegen nördliche und östliche Winde geschützt war. Er ging an den Klippen entlang und beobachtete, wie die Morgendämmerung langsam den Horizont hervortreten ließ. Plötzlich sah er Westin auf dem Pfad vom Haus auf sich zukommen.
    »Danke für den schönen Abend«, sagte Wallander. »Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt einen solchen Abend erlebt habe.«
    »Ich habe gehört, daß du aufgestanden bist«, sagte Westin. »Ich dachte, wir könnten eine kleine Tour mit dem Boot machen. Ich will dir etwas zeigen. Nichts Besonderes. Aber trotzdem.«
    »Was denn?«
    »Eine Insel. Eine der äußeren Schären. Hammarskär.«
    Westin hatte eine Plastiktüte bei sich.
    »Hier ist Kaffee«, sagte er. »Den Whisky haben wir ausgetrunken.«
    Sie gingen zum Bootshaus. Plötzlich war heller Morgen. Das Meer war bleigrau, und es war nahezu windstill. Westin setzte das Boot zurück und nahm Kurs aufs offene Meer. Sie ließen die baumbewachsenen Holme hinter sich und fuhren an Klippen vorbei, die immer weniger und kahler wurden. Westin zeigte auf eine Schäre, die einsam weit draußen im offenen Meer lag. Das Boot glitt weich über die heranrollende Dünung. Sie näherten sich der Schäre. Westin verringerte die Fahrt und steuerte die Südseite an.
    »Ich dachte, du könntest da an Land springen«, sagte er. »Anlegen |602| kann ich nicht. Ich halte das Boot so lange hier draußen. Aber mit dem Bug kann ich ganz nah herankommen. Schaffst du es, an Land zu springen?«
    »Wenn ich reinfalle, mußt du mich eben rausziehen.«
    »Wenn du nach Westen gehst, siehst du Überreste von alten Behausungen. Da haben früher Menschen gelebt. Wie sie da klarkamen, ist mir ein Rätsel. Vorfahren von mir haben Ende des achtzehnten Jahrhunderts hier gelebt. Ein junges Paar. Eines Tages im Oktober, fast wie jetzt, kam plötzlich ein Sturm aus Nordosten. Sie mußten raus, um die Netze zu bergen. Das Boot kenterte. Beide kamen um. Sie hatten kleine Kinder in der Hütte. Unter anderem einen Jungen, der später zu Pflegeeltern kam. Er hieß Lars Olsson. Einer seiner Enkel änderte den Namen in Westin. Ich stamme in direkter Linie von ihm ab.«
    Westin hatte Kaffee in zwei Becher gegossen, während er sprach.
    »Ich dachte, du könntest an Land gehen«, fuhr er fort. »Dort draußen fängt Schweden an. Und dort hört es auf. Je nachdem, von welcher Seite man es sehen will.«
    Sie tranken den Kaffee, während das Boot sich in der Dünung wiegte. Dann setzte Westin den Bug vorsichtig gegen eine vorspringende Klippe, wo das Wasser tief genug war. Es gelang Wallander, an Land zu springen, ohne abzugleiten. Westin setzte das Boot zurück und kam aus dem Steuerhaus.
    »Laß dir Zeit«, rief er. »Ich warte.«
    Ein Heidekrautteppich breitete sich aus. In den Senken stand dichtes und verschlungenes Erlengestrüpp. Ansonsten waren die Klippen kahl. Skelettreste eines Vogels lagen in einer Spalte. Wallander wandte sich nach Westen. Er kletterte und rutschte über die nassen Klippen. Das Moos gab unter seinem Gewicht nach. Hinter dichtem Gestrüpp sah er eine Bucht, die sich ins Inselinnere erstreckte. Ein Naturhafen. Dort fand er auch die Hausreste, die Westin erwähnt hatte. Das Boot konnte er nicht mehr sehen. Es wurde von den Klippen verdeckt, über die er geklettert war. Alles war still. Nur das Meer, das heranrollte. Das Gefühl von Einsamkeit war grenzenlos. Aber ebenso das Gefühl, sich in einem Mittelpunkt zu befinden. Einem Platz, an dem sich der Blick weitete.
    |603| Hier fängt Schweden an, dachte Wallander. Genau wie er gesagt hat. Hier fängt es an und hier hört es auf. Die Schäre, die sich noch immer, langsam und unmerklich, aus dem Meer erhebt. Der schwedische Fels.
    Er spürte, daß er ergriffen war. Ohne genau zu wissen, wovon. Er versuchte, sich vorzustellen, wie es gewesen sein mußte, hier draußen zu
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