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Wallander 06 - Die fünfte Frau

Wallander 06 - Die fünfte Frau

Titel: Wallander 06 - Die fünfte Frau
Autoren: Henning Mankell
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Schwierigkeiten hatte, zu gehen und zu sitzen.
    Aber vor allem machten sie sich in dieser Zeit an die mühsame Arbeit des Verstehens: Was war eigentlich geschehen? Das einzige, wofür sie keinen Beweis erbringen konnten, war, ob das Skelett, das sie – mit der rätselhaften Ausnahme eines nie gefundenen Schienbeins – aus Holger Erikssons Lehmacker ausgruben, wirklich als das Skelett von Krista Haberman angesehen werden konnte. Es sprach nichts dagegen, aber zu beweisen war es nicht.
    Ein Bruch der Schädeldecke gab auch die erwünschte Auskunft, wie Holger Eriksson sie vor mehr als fünfundzwanzig Jahren getötet hatte. Aber alles andere klärte sich, wenn auch langsam und mit Fragezeichen, die sie nicht vollständig auszulöschen vermochten. Hatte Gösta Runfelt seine Frau getötet? Oder war es ein Unglück gewesen? Die einzige, die ihnen die Antwort geben konnte, war Yvonne Ander, und die sagte noch immer nichts. Sie begaben sich auf eine Wanderung durch ihre Vergangenheit, und sie kehrten mit einer Geschichte zurück, die teilweise erzählte, wer sie war, und vielleicht auch, warum sie so gehandelt hatte, wie es geschehen war.
    Eines Nachmittags, zum Abschluß einer langen Sitzung, sagte Wallander plötzlich etwas, was er schon lange mit sich herumgetragen zu haben schien. »Yvonne Ander ist der erste Mensch, dem ich begegnet bin, der sowohl klug als auch wahnsinnig ist, beides zugleich.«
    |542| Er erklärte nicht, was er meinte. Aber keiner zweifelte daran, daß er damit wirklich seine ganz entschiedene Meinung zum Ausdruck brachte.
     
    Während dieser Zeit besuchte Wallander Ann-Britt Höglund jeden Tag im Krankenhaus. Die Schuld, die er fühlte, wurde er nicht los. Es half nichts, was andere sagten. Er fand, daß er die Verantwortung trug für das, was geschehen war, Punkt und basta. Damit mußte er fortan leben.
     
    Yvonne Ander schwieg weiter. Eines späten Abends saß Wallander allein in seinem Zimmer und las noch einmal die große Sammlung von Briefen, die sie von ihrer Mutter bekommen hatte.
    Am Tag danach besuchte er sie in ihrer Zelle.
    An diesem Tag begann sie auch zu sprechen.
    Es war der 3.   November 1994.
    An diesem Morgen lag Frost über der Landschaft um Ystad.

|543| Schonen
    4.–5.   Dezember 1994

|545| Epilog
    Am Nachmittag des 4.   Dezember sprach Kurt Wallander zum letztenmal mit Yvonne Ander. Daß es das letztemal war, konnte er jedoch nicht wissen, auch wenn sie keinen neuen Termin vereinbart hatten.
    Am 4.   Dezember hatten sie einen vorläufigen Schlußpunkt gesetzt. Es gab plötzlich nichts mehr hinzuzufügen. Nichts zu fragen, nichts zu beantworten. Und erst da begann die lange und komplizierte Ermittlung aus seinem Bewußtsein zu schwinden. Obwohl mehr als ein Monat vergangen war, seit Yvonne Ander gefaßt wurde, hatte die Ermittlung weiterhin sein Leben beherrscht. Nie zuvor in den vielen Jahren als Verbrechensermittler hatte er ein so intensives Bedürfnis empfunden, wirklich zu verstehen. Verbrecherische Handlungen stellten immer eine Oberfläche dar. Oft war diese Oberfläche mit der Vegetation darunter verwachsen; doch manchmal, wenn es einem gelungen war, die Oberfläche des Verbrechens zu durchstoßen, öffneten sich Abgründe, von denen man vorher nicht einmal etwas ahnen konnte. So geschah es im Fall von Yvonne Ander. Wallander schlug ein Loch in die Oberfläche und wußte sofort, daß er in einen Abgrund blickte. Er entschied sich daraufhin, sich symbolisch ein Seil um den Leib zu binden und sich an einen Abstieg zu machen, von dem er nicht wußte, wohin er führen würde, weder für ihn noch für sie.
    Der erste Schritt war es, sie überhaupt dazu zu bringen, ihr Schweigen zu brechen, sie zum Reden zu bewegen. Es war ihm gelungen, nachdem er zum zweitenmal die Briefe gelesen hatte, die sie während ihres Erwachsenenlebens mit ihrer Mutter gewechselt und sorgfältig aufbewahrt hatte. Wallander hatte geahnt, daß hier der Punkt war, wo er ansetzen konnte, um ihre Unzugänglichkeit aufzubrechen. Und er hatte recht gehabt. Das |546| war am 3.   November, vor über einem Monat. Wallander war immer noch deprimiert wegen Ann-Britt Höglunds Schußverletzung. Er wußte zwar, daß sie durchkommen würde, daß sie sogar wieder gesund werden und keine weiteren Schäden davontragen würde als eine Narbe an der linken Bauchseite, aber die Schuld lastete so schwer auf ihm, daß sie ihn zu ersticken drohte. Seine größte Stütze in dieser Zeit war Linda, die nach Ystad
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