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Wallander 05 - Die falsche Fährte

Wallander 05 - Die falsche Fährte

Titel: Wallander 05 - Die falsche Fährte
Autoren: Henning Mankell
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in die Salomonsson zeigte.
    Die Frau befand sich ungefähr fünfzig Meter entfernt im Rapsfeld. Ihr Haar war sehr dunkel. Es stach scharf gegen den gelben Raps ab.
    »Ich rede mit ihr«, sagte Wallander. »Warten Sie hier.«
    Er holte ein Paar Stiefel aus dem Kofferraum seines Wagens. Dann ging er mit einem Gefühl der Unwirklichkeit zum Rapsfeld hinüber. Die Frau stand vollkommen unbeweglich und betrachtete ihn. Als er näher kam, sah er, daß sie nicht nur dunkles Haar hatte, sondern auch dunkle Haut. Er blieb am Rand des Feldes stehen, hob eine Hand und versuchte, sie zu sich zu winken. Sie stand nach wie vor vollkommen unbeweglich. Obwohl sie noch immer weit von ihm entfernt war und der schwankende Raps von Zeit zu Zeit ihr Gesicht verdeckte, ahnte er, daß sie sehr schön war. Er rief ihr zu, sie solle zu ihm kommen. Als sie sich dennoch nicht rührte, tat er den ersten Schritt in den Raps. Sie verschwand sofort. Es ging so schnell, daß er an ein scheuendes Tier dachte. Gleichzeitig spürte er, daß er ärgerlich wurde. Er ging tiefer in das Rapsfeld hinein und spähte nach allen Seiten. Als er sie wieder entdeckte, hatte sie sich zur östlichen Ecke des Feldes hinbewegt. Damit sie ihm nicht wieder entkam, begann er zu laufen. Sie bewegte sich sehr schnell, und er merkte, daß ihm die Luft ausging. Als er sich ihr bis auf gut zwanzig Meter genähert hatte, befanden sie sich in der Mitte des Rapsfeldes. Er rief ihr zu stehenzubleiben.
    »Polizei!« brüllte er. »Bleiben Sie stehen!«
    Er begann, auf sie zuzugehen. Dann stoppte er abrupt. Alles ging jetzt sehr schnell. Plötzlich hob sie einen Plastikkanister über ihren Kopf und begann, eine farblose Flüssigkeit über ihr Haar, ihr Gesicht und ihren Körper zu gießen. Ihn durchfuhr der Gedanke, daß sie den die ganze Zeit getragen haben mußte. Er sah jetzt auch, daß sie sehr große Angst hatte.
    Ihre Augen waren weit aufgerissen, und sie sah ihn ununterbrochen an.
    »Polizei!« rief er. »Ich will nur mit Ihnen sprechen.«
    Im gleichen Augenblick trieb ihm der Geruch von Benzin entgegen. Sie hatte plötzlich ein brennendes Feuerzeug in der Hand |39| und hielt es an ihr Haar. Wallander schrie etwas, und im selben Moment loderte sie auf wie eine Fackel. Vor Schrecken gelähmt sah er, wie sie im Raps umhertaumelte, während das Feuer fauchend um ihren Körper aufflammte. Er konnte selbst hören, wie er schrie. Aber die brennende Frau war stumm. Hinterher konnte er sich nicht erinnern, sie überhaupt schreien gehört zu haben.
    Als er versuchte, zu ihr zu laufen, explodierte das ganze Rapsfeld. Plötzlich war er von Rauch und Flammen umgeben. Er schlug die Hände vors Gesicht und lief, ohne zu wissen, in welche Richtung. Als er den Rand des Feldes erreichte, stolperte er und stürzte in den Graben. Er wandte sich um und sah sie noch ein letztes Mal, bevor sie fiel und aus seinem Blickfeld verschwand. Sie hatte die Arme in die Höhe gestreckt, als flehe sie um Gnade vor einer Waffe, die auf sie gerichtet war.
    Das Rapsfeld brannte.
    Irgendwo hinter sich hörte er Salomonsson brüllen.
    Wallander erhob sich mit zitternden Beinen.
    Dann wandte er sich ab und erbrach sich.

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    Später sollte sich Wallander an das brennende Mädchen im Rapsfeld erinnern, wie man sich mit äußerster Anstrengung an einen entlegenen Alptraum erinnert, den man am liebsten vergessen möchte. Obwohl er den ganzen Abend und bis tief in die Nacht eine zumindest äußere Ruhe zu bewahren schien, konnte er sich nachher an nichts als unwesentliche Einzelheiten erinnern. Martinsson, Hansson und vor allem Ann-Britt Höglund hatten sich über diese Unberührtheit gewundert. Aber sie hatten nicht durch den Abwehrschild hindurchsehen können, den er um sich errichtet hatte. In ihm herrschte ein Chaos wie in einem zusammengestürzten Haus.
    Kurz nach zwei Uhr in der Nacht kam er in seine Wohnung. Und erst da, als er sich aufs Sofa gesetzt hatte, immer noch in seinen rußigen Kleidern und den lehmigen Stiefeln, brach seine Abwehr zusammen. Er hatte sich ein Glas Whisky eingeschenkt, die Balkontüren standen offen und ließen die Sommernacht herein, als er anfing zu weinen wie ein Kind.
    Das Mädchen, das sich verbrannt hatte, war auch ein Kind gewesen. Sie hatte ihn an seine eigene Tochter Linda erinnert.
    In all seinen Jahren als Polizist hatte er eine Abwehrbereitschaft entwickelt, wenn er an einen Ort kam, wo ein Mensch eines gewaltsamen und plötzlichen Todes gestorben war. Er hatte
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