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Waldos Lied (German Edition)

Waldos Lied (German Edition)

Titel: Waldos Lied (German Edition)
Autoren: Petra Gabriel
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Aquileja.
    Rudolf ließ ihn in Frieden heimwärts ziehen. Er tat aber noch mehr. Er reiste mit ihm zum Papst. Er wollte dem Mann auf dem Apostolischen Stuhl von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten. Er wollte nach so vielen Worten, nach so vielen Toten endlich eine Entscheidung herbeiführen. Er wusste zwar, dass es gefährlich war, das Reich gerade jetzt zu verlassen. Heinrich konnte jederzeit wieder zuschlagen. Und er wusste auch, dass er Gefahr lief, alles zu verlieren, wofür er bisher gekämpft hatte. Dennoch entschloss er sich, über die Alpen zu ziehen. Ich ging mit ihm.
    So sah ich dann schließlich in Rom zum ersten Mal jenen Mann, der mein Leben und das so vieler anderer Menschen bestimmt hatte.
    Es dauerte viele Tage, bis Gregor VII. geruhte, König Rudolf zu empfangen. Doch erst, nachdem wir vorher genauestens in das Zeremoniell eingeführt worden waren. Der Papst lege größten Wert auf die ihm zustehenden Respektsbezeugungen, erklärte uns eine graue Eminenz. Vom König und von allen Fürsten, die ihn begleiteten, erwartete er nichts weniger, als dass sie sich vor ihm niederwarfen und ihm die Füße küssten.
    Die einfacheren Leute in Rudolfs Gefolge wurden erst gar nicht in Gregors Nähe vorgelassen. So stand ich ein ganzes Stück abseits und konnte nur bruchstückhaft hören, was Gregor und Rudolf besprachen. Aber ich wusste ja, was der König vortragen würde. Jedes Wort waren wir zusammen durchgegangen. Auf diese Weise hatte ich Zeit, Hildebrand in Ruhe zu betrachten.
    Es stimmte, was man sich erzählte. Er war ein kleiner Mann. Sein scharfkantiges Gesicht zeugte von Askese. Er war einfach gekleidet. Der genau beobachtende Blick seiner dunklen Augen ließ auf einen beweglichen Geist und einen scharfen Verstand schließen.
    In um so größerem Gegensatz dazu stand der Pomp, den er entfaltete. Alles um ihn herum war von größter Pracht, glitzerte von Gold und Edelsteinen. Da begriff ich, dass alles bis aufs kleinste durchdacht war, dazu bestimmt, sein einfaches Gewand zu betonen und damit seine Bescheidenheit, aber auch seine Macht zu unterstreichen.
    Papst Gregor war ein Mann, der die absolute Herrschaft der Kirche über die Welt beanspruchte und damit auch das Recht, Könige und Kleriker einzusetzen. Heinrich lehnte das ab. Nicht aber Rudolf. Rudolf warf sich vor diesem Papst in den Staub und küsste ihm die Füße. Gregor entließ ihn huldvoll wie einen treuen Diener. Doch er gab ihm keine Antwort auf seine Frage, er traf wieder keine Entscheidung zwischen den beiden Königen. So zogen wir über die Alpen zurück, ohne etwas erreicht zu haben.
    Dann, endlich, kam die Botschaft, auf die Rudolf nun schon fast drei Jahre wartete. Auf der Fastensynode im März des Jahres io8o hatte Papst Gregor Heinrich zum zweiten Mal mit dem Bann belegt, ihn als König abgesetzt und Rudolf zum rechtmäßigen König des Reiches erklärt.
    Da war es, als würde die alte Kraft wieder zu Rudolf zurückkehren. Zum ersten Mal seit langer Zeit lachte und scherzte er manchmal wieder, und er dankte Gott dem Herrn inbrünstig für die Erhörung seiner Gebete.
    »Nun hat der Allmächtige doch noch alles zum Guten gewendet, Waldo von St. Blasien«, sagte er nach dem Dankgottesdienst glücklich zu mir. »Nun wird alles gut.«
    Doch ich konnte daran nicht mehr glauben. Der Papst hatte sich schließlich für Rudolf entschieden, weil er glaubte, ihn leichter beherrschen zu können als Heinrich. Und ich hatte zu viele Menschen sterben sehen. Ob Heinrichs Männer oder die Truppen Rudolfs — alle wurden sie für eine gerechte Sache in den Tod geschickt. Doch welche war die gerechte? Ich hatte meinen Glauben an die göttliche Gerechtigkeit und seinen Stellvertreter auf Erden schon lange verloren. Der einzige Gerechte in diesem fürchterlichen Kampf um Macht und Wahrheit war der Tod. Er macht alle gleich.
    Doch ich behielt meine Gedanken für mich.
    Und Heinrich? Heinrich scherte sich nicht um den Papst und seinen Bann. Wir hörten, dass er auf die Nachricht seiner zweiten Bannung hin nur lachte. Seine Antwort war die Synode zu Brixen. Dort hielten Bischöfe und Fürsten Gericht über »den falschen Mönch Hildebrand« und erklärten ihn für abgesetzt. Die Versammelten beschlossen die Eröffnung eines kanonischen Verfahrens gegen Gregor, und Heinrich benannte auch gleich einen Nachfolger für den Mann auf dem Stuhl Petri: Wibert von Ravenna. Die damalige Kaiserin Agnes hatte den jüngsten Spross einer italienischen
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