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Waldos Lied (German Edition)

Waldos Lied (German Edition)

Titel: Waldos Lied (German Edition)
Autoren: Petra Gabriel
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blutig. Ich spürte es nicht. Ich war nur darauf bedacht, einen Blick auf die Herzogin werfen zu können. Adelheid von Rheinfelden ritt mit ihrem Gemahl und Bischof Beringer von Basel an der Spitze des Zuges. Beringer würde die folgende Nacht auf der Burg des Herzogs auf der Insel im Rhein verbringen und sollte dann am nächsten Morgen mit seinen Leuten nach Basel weiterziehen.
    Mir hatte man einen Platz ganz hinten im Tross des Herzogs zugewiesen, irgendwo zwischen niedrigen weiblichen Bediensteten und bulligen Wächtern mit drohenden Lanzen.
    Trotz meiner jugendlichen Kräfte schmerzten mich die Glieder, als endlich, im grauen Licht des sich neigenden Tages, die Burg auf dem Stein mitten in den Strudeln des Rheins vor uns aufstieg.
    In der Burg hatte man das Nahen des Herrn offenbar schon bemerkt. Es lagen bereits zwei große Flöße aus zusammengebundenen Baumstämmen am Ufer, um ihn und sein Gefolge aufzunehmen. Selbst die Pferde, die die Fahrt übers Wasser sonst scheuen, witterten wohl schon den heimischen Stall. Sie ließen sich ohne Widerstand auf die schwankenden Holzflöße führen, die an starken Seilen von einigen Männern Rudolfs, die zur Bewachung auf der Burg geblieben waren, zur Rheininsel hinübergezogen wurden. Die Flöße mussten mehr als einmal zwischen Burginsel und Rheinufer verkehren, bis die ganze Gesellschaft drüben angekommen war, so groß war das Gefolge des Herzogs. Diese vielen Menschen müssen in der Abtei eine Menge Essen vertilgt haben, fuhr es mir durch den Kopf. Das bedeutete bei der Sparsamkeit von Abt Warinharius nun magere Zeiten für die Mönche.
    Herzogin Adelheid und ihre Frauen begaben sich sofort in ihre Gemächer, die in dem großen Turm lagen. Mir wiesen sie einen Platz in den Ställen zu. Und dann vergaßen sie mich. Die erste Nacht des neuen Jahres verbrachte ich ganz allein.
    Es scherte mich nicht, denn im Stroh, nahe den Pferden, war es wenigstens etwas warm. Fing ich dennoch an zu frieren, dann gedachte ich einfach der lieblichen Adelheid von Rheinfelden.
    Ich ernährte mich in jener Zeit von den Küchenabfällen, die mir eine fette Magd mit Namen Maria brachte. Dafür las ich ihr die Läuse aus dem verfilzten Haar, und sie schnurrte vor Vergnügen wie eine Katze. Das Wasser holte ich mir einfach aus dem Fluss. Außer Maria kümmerte sich niemand um mich.
    Als erstes lernte ich in dieser Zeit, mich mehr und mehr unsichtbar zu machen, so dass die Menschen der Burg ihrer Arbeit nachgingen und Geheimnisse austauschten, ohne dass sie mich überhaupt bemerkten. Diese damals entwickelte Fähigkeit war mir später immer wieder sehr nützlich. Auch war hier meine geringe Körpergröße von großem Vorteil, und ich begann, die Vorzüge meiner Statur schätzen zu lernen.
    Natürlich wurde im Gesinde auch über Liebe gesprochen. Ich erfuhr also, dass die Magd sich mit einem sehr viel jüngeren Küchenjungen vergnügte. Und dass der Kastellan einer der Frauen von Adelheid von Rheinfelden immer wieder unter die Röcke fasste. Ich hörte außerdem, dass der Herzog sich überhaupt nicht um seine junge Gemahlin kümmerte. Sie saß mit ihren Frauen und den Schwestern oder Töchtern einiger Edler aus der Gegend zumeist in der Kammer und webte oder spann, so wie einst Penelope, als sie auf Odysseus wartete. Herzog Rudolf rief sie nur zu offiziellen Gelegenheiten zu sich. Sein Bett teilte er jetzt, da sie schwanger war, wieder mit seinen Kebsweibern und Bauernmädchen, die er sich auf die Burg bringen ließ.
    Mir kam nie zu Ohren, dass sich Adelheid von Rheinfelden über diese Behandlung beklagt hätte. Sie schien gleichmütig darüber hinwegzusehen, ja geradezu froh über das Verhalten ihres Gemahls zu sein. Sie blieb immer freundlich und gerecht gegenüber jedermann und hatte schnell die Herzen aller gewonnen.
    Nach mehreren Wochen erinnerte man sich wieder an mich. Ich hatte mich inzwischen an den Müßiggang gewöhnt. Es gefiel mir, nicht mehr immerfort zum Gebet gerufen zu werden, nicht mehr Tag für Tag mit der größten Aufmerksamkeit Buchstaben auf Pergament malen zu müssen. Nicht nur mein Äußeres verwilderte allmählich, sondern auch mein Geist und mein Gewissen. Ein Bart begann mir zu sprießen, dünn und mit kahlen Stellen dazwischen, als säßen Motten darin. Doch auch das kümmerte mich nicht. Ebensowenig machte es mir etwas aus, dass meine klösterliche Kleidung langsam fadenscheinig und verlumpt wurde und vor Stalldreck starrte. Manchmal dachte ich inzwischen selbst,
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