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Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Autoren: Henry David Thoreau
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undwohltuenden Atmosphäre des Morgens sich vollzieht, bewirkt, daß wir uns mit unserer Tugendliebe und mit unserem Lasterhaß ein wenig der Urnatur des Menschen nähern, wie die Sprossen des Waldes, den man niederschlug. Ebenso hindert das Böse, das wir im Verlauf des Tages tun, die kaum erwachten Keime der Tugend an ihrer Entfaltung und zerstört sie."
     
    "Werden die Keime zur Tugend auf diese Weise mehrfach an ihrer Weiterentwickelung gehindert, dann genügt der wohltuende Hauch des Abends nicht, sie zu erhalten. Sobald aber der Hauch des Abends nicht mehr genügt, sie zu erhalten, dann unterscheidet sich des Menschen Natur nicht mehr von des Tieres Natur. Wenn aber ein Mensch den anderen so tierisch sieht, dann glaubt er, daß dieser nie die angeborene Fähigkeit der Vernunft besessen habe. Sind das die wahren und natürlichen Gefühle des Menschen?"
     
    "Es entsproßte das goldene Geschlecht, das von keinem gezüchtigt,
"Ohne Gesetz freiwillig der Treu und Gerechtigkeit wahrnahm,
"Furcht und Strafe war fern. Nicht lasen sie drohende Worte
"Auf dem gehefteten Herz, nicht bang vor des Richtenden Antlitz
"Stand ein flehender Schwarm; ungezüchtigt waren sie sicher.
"Nie vom eignen Gebirg', um der Fremdlinge Welt zu besuchen,
"Stieg die gehauene Fichte hinab in die flüchtige Woge:
"Außer den ihrigen kannten die Sterblichen keine Gestade.
     
       
     
    "Ewig waltete Lenz und sanft, mit lauem Gesäusel
"Fächelten Zephyrus' Hauche die saatlos keimenden Blumen."
     
       
     
    Am 29. April fischte ich vom Flußufer aus nahe bei der Nineacrecornerbrücke, auf Zittergras und Weidenwurzeln stehend, dort wo Bisamratten auf der Lauer liegen. Da hörte ich plötzlich einen eigentümlichen, klappernden Ton, wie ihn Knaben mit zwischen den Fingern geklemmten Holzstückchen hervorbringen, und als ich in die Höhe sah, erblickte ich einen sehr schlanken anmutigen Falken, der, einem Nachtfalken gleichend, bald in leichten Kurven aufwärtsstieg, bald, sich überstürzend, etwa drei bis sechs Meter niederfiel, wobei die Unterseite seiner Flügel sichtbar wurde, die wie Atlasband oder Perlmutter im Sonnenscheine glänzten. Dieser Anblick erinnertemich an Falkenjagden und all das Erhabene und Poetische, was mit diesem Vergnügen verknüpft war. Merlin sollte er heißen, dachte ich bei mir. Doch der Name ist mir Nebensache. Es war der ätherischste Flug, den ich je gesehen habe. Er flatterte nicht einfach wie ein Schmetterling, oder schwebte wie die größeren Falken, sondern spielte mit stolzer Zuversicht in luftigen Gefilden. Immer wieder stieg er, während sein seltsames Glucksen erklang, hoch empor und immer aufs neue wiederholte er seinen schönen Fall, wobei er sich wie ein Papierdrache fortwährend um sich selbst drehte. Dann hemmte er plötzlich seinen Sturz durch die Luft, als ob sein Fuß nie terra firma betreten habe. In der großen, weiten Welt schien er keine Kameraden zu besitzen. Die waren für ihn nicht notwendig. Er erfreute sich an seinem einsamen Spiel mit dem Morgen und dem Äther. Er war nicht einsam, doch er machte die ganze Erde unter sich einsam. Wo waren die Eltern, die ihn ausbrüteten, wo seine Verwandten, wo sein Vater im Himmel? Dieser Bewohner der Lüfte schien mit der Erde nur durch das Ei verwandt, das vor kurz oder lang in einem Felsenspalt ausgebrütet wurde. Oder lag das Nest seiner Geburt in einem Wolkenwinkel aus Regenbogenfasern und Sonnenuntergangshimmel geflochten und mit weichem Hochsommernebel ausgepolstert, der der Erde entquoll? Horstete er jetzt an Wolkenklippen? ...
     
    Außerdem fing ich mir ein erlesenes Gericht goldener, silberner und hellkupferner Fische, die wie eine Edelsteinkette aussahen. Ach, zu diesen Wiesen habe ich mir an manchem ersten Frühlingsmorgen den Weg gebahnt, von einer Bodenerhebung zur anderen, von Weidenwurzel zu Weidenwurzel springend. Das brausende Flußtal und die Wälder waren in einem so reinen, hellen Licht gebadet, daß es die Toten hätte aufwecken müssen, wenn sie – wie manche glauben – in ihren Gräbern geschlummert hätten. Es bedarf keines stärkeren Beweises für die Unsterblichkeit. In solchem Licht muß alles leben! Tod, wo ist Dein Stachel? Hölle, wo ist Dein Sieg? ..."
     
    Das Leben in unseren Dörfern würde bald ins Stocken geraten, gäbe es nicht die unerforschten Wälder und Wiesen ringsherum. Wir brauchen die Wildnis als Stärkungsmittel. Wir müssen bisweilendurch Sümpfe waten, wo die Rohrdommel und das Wasserhuhn sich
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