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Wald

Wald

Titel: Wald
Autoren: Mike Waechter
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Ausbildung dort absolvieren konnte, da in der Burg kein Geistlicher residiert, der ihn hätte unterrichten können. Jetzt ist der Unterricht beendet und der Ernst des Lebens hat begonnen. Envin ist gerade einundzwanzig Jahre alt geworden und jetzt ein wahrer Ritter, ein Krieger. Außerdem hat er noch nie eine Frau geküsst.
    Er wüsste wohl, wen er küssen wollte, aber er ist nicht wie sein Bruder, der sich nehmen kann, was er will. Envin stützt sich an einer der Säulen in der großen Vorhalle. Oft hat er davon geträumt die Komtess zu umarmen, Zärtlichkeiten auszutauschen, und dann hat er sich wieder für seine Gedanken geschämt, da sie doch Sidus versprochen ist. Das ist nicht gut. Und Krieg zu führen ist ebenfalls nicht gut, das weiß er nun umso mehr. Die Erfahrungen der vergangenen Schlacht haben ihm endgültig die Illusionen geraubt, er könnte sich irgendwie bei den echten Kämpfern einnisten. Nicht weiterauffallen. Nein, sein Entschluss steht fest. Envin richtet seinen Körper auf und läuft auf die Tür zu dem Saal zu. Er kann bereits die Musik hören. Er greift mit beiden Händen je einen der verzierten Holzgriffe und hält noch einmal inne. Er wird Mut fassen und wird es seinem Pflegevater Svetopluk erklären. Er wird ihn bitten, ihn vom Kriegsdienst freizustellen, damit er sich zu einer künstlerischen Ausbildung ins Kloster zurückziehen kann. Es ist ihm egal, ob man ihm die gräfliche Würde aberkennt. Er atmet tief durch, dann reißt er die Tür auf und betritt den Saal. Die Rhythmen der Bodhrantrommel durchpeitschen seine Ohren wie das Stampfen einer Armee. Auf der rechten Seite des Saals sieht er die Krieger, von denen einige bereits besoffen sind und andere noch auf den Tischen und nicht darunter tanzen. Alle sind sie bei bester Laune. Keiner von ihnen scheint mehr daran zu denken, wie sie vor fünf Tagen allesamt dem Tode in die Augen blickten und wie sie etliche ihrer Kameraden verloren haben. In der Mitte des Raumes, am hintersten Ende sitzt Svetopluk mit seinen Beratern, vor ihm ein gebratenes Spanferkel. Auf der linken Seite des Raumes sitzen die Hofdamen. Und dann erblickt Envin sie, die Komtess. Sein Herz schlägt schneller. Er hat den plötzlichen Wunsch mit ihr zu sprechen und ihr von seinen Erlebnissen zu erzählen. Am liebsten würde er ihr auch von seinem Entschluss berichten. Ob sie ihn vielleicht sogar verstehen könnte? Ist sie nicht genau so wie er eine Gefangene dieses Systems, das gegen den Einzelnen arbeitet? Wie sie sich wohl fühlt? Am liebsten würde er sie fragen, ob sie mit ihm fliehen will, doch dazu fehlt ihm der Mut und ebenso der Glaube, sie könnte tatsächlich ja sagen. Wenn er ihr das nur vermitteln könnte, dass er sie mehr liebt, als Sidus es jemals könnte. Er wird es wohl niemals aussprechen. Dennoch mit ihr reden muss er. Jetzt. Es geht nicht anders. Nur wie soll er an sie herankommen, ohne zu viel Aufsehen zu erregen?
    Sei doch endlich einmal mutig, Du lausiger Krieger , sagt er zu sich selbst und setzt langsam einen Fuß vor den anderen, ohne nachzudenken. Sollen die Leute tuscheln, was sie wollen. Als er vor ihrem Tisch ankommt, holt er tief Luft und verbeugt sich förmlich.
    »Envin?«
    Die Komtess sieht zu ihm auf.
    »Zu Euren Diensten.«
    Weiter kommt er nicht, da Svetopluk in diesem Moment aufsteht, um eine Ansprache zu halten.
    »Treue Untertanen, nun da auch der Bruder unseres Heerführers Sidus den Weg an Unsere Tafel gefunden hat, möchten Wir ein paar Worte des Dankes aussprechen. Envin, hätte Er die Güte sich an seinen Platz zu begeben?«
    Unter den Blicken aller Anwesenden schleicht Envin auf die andere Seite der Tafel zu seinem Bruder.
    »Gut,« fährt der Fürst fort.
    »Narr, wie Uns zu Gehör gekommen ist, hat Er einen Reim zu Ehren der tapferen Krieger verfasst.«
    Unter wildem Glöckchengeläut springt der Hofnarr auf einen Tisch, während Svetopluk zu einem Hähnchenschlegel greift, in den er genussvoll hineinbeißt.

    »Ein Glanz, der nur den Sternen gleicht,
    Und Ruhm, der über Grenzen reicht,
    Gilt denen, die zur Ehre Ihres Fürsten,
    Dem Blut der reud'gen Feinde dürsten.
     
    Doch auch der von Heldentat zu Heldentat,
    Zieht wie ein Berserker beim blutg'en Bad,
    Der gebe besser zweimal acht,
    Auf hellsten Tag folgt bald die Nacht.
     
    So höret mir gut zu, Ihr lieben Leut’,
    Staub des Morgen sind sie schon heut’,
    Und schaut sie gründlich noch mal an,
    Wie jeden and’ren, tapf’ren, dummen Mann.«
     
    »Danke, danke«,
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