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Wahn

Wahn

Titel: Wahn
Autoren: Christof Kessler
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Kontakte zu knüpfen: Wer sich vordrängelt, findet garantiert Beachtung.«
    »Ich wüsste nicht, was Sie bei mir gut haben könnten.« Sie nannte der Verkäuferin ihren Wunsch und wurde zuerst bedient. »Eigentlich ein nicht uninteressanter Typ«, dachte sie bei sich. »Sieht gut aus und ist irgendwie witzig, eine Kombination, die man nicht häufig antrifft.«
    Als die Verkäuferin ihr das gewünschte Kalbfleisch über die Theke reichte, fasste er ihren Ellenbogen und sagte lächelnd: »Ich kenne ein Osso-Buco-Rezept, dafür lassen Sie alles stehen und liegen.«
    Das war ihr jetzt doch zu aufdringlich, sie trat einen Schritt zurück, packte das Fleisch in den Einkaufswagen und schritt mit entschlossener Miene zur Kasse. Aus den Augenwinkeln konnte sie noch beobachten, wie er ebenfalls auf die langen Reihen der Kassen zustrebte. Auf dem Parkplatz, beim Einräumen der Ware in den Kofferraum, stand der Mann plötzlich vor ihr: »Es tut mir leid, wenn ich zu forsch war, aber ich würde Sie gerne wiedersehen.«
    Sie lächelte: »Ich bin immer Freitagnachmittag im Café am Markt, da können Sie mich finden.«
    »Das ist ein guter Tipp. Ich freue mich schon.«
    »Ich freue mich auch«, sagte Hannah und meinte es ehrlich.
    »Seltsamer Mensch«, dachte sie bei sich, »nicht unsympathisch, aber etwas geheimnisvoll.« Kaum war sie zu Hause, fiel ihr ein, dass sie nächsten Freitag gar nicht im Marktcafé sein konnte, da sie ihren Eltern einen Besuch zu deren vierzigsten Hochzeitstag versprochen hatte. Pech, sie wusste weder, wie ihre Verabredung hieß, noch hatte sie seine Handynummer. »Jetzt muss ich ihn enttäuschen«, dachte sie, »hoffentlich ist er clever genug, und kommt den Freitag drauf.«
    Zwei Wochen später kam Hannah abends müde und erschöpft nach Hause. Dienstags musste sie nicht nur kurz hintereinander drei Vorlesungen halten, sondern auch noch am späten Nachmittag ein Seminar geben, das sie für besonders interessierte und begabte Studenten anbot. Diese Lehrveranstaltung war sehr anspruchsvoll und forderte sie ganz und gar. Sie freute sich darauf, den Abend bei einer Tasse Tee und etwas Obst und Käse in ihrem Fernsehsessel zu beschließen.
    Später wollte sie noch ein Glas Wein trinken und mit ihrer Schwester in Tübingen telefonieren, die Geburtstag hatte. Als sie sich gerade in den Sessel fallen ließ, hörte sie das Dingdong der Wohnungstür. Missmutig stand sie auf, um nachzuschauen, wer zu dieser ungewöhnlichen Zeit geläutet haben könnte.
    Vor der Tür stand ein blonder Mann im mittleren Alter. Da es leicht regnete, trug er einen dunklen Trenchcoat mit hochgeschlagenem Kragen. Hannahs Mutter hätte wohlwollend festgestellt: »Picobello, wie aus dem Ei gepellt«, so gepflegt und adrett wirkte er. Sie hätte schwören können, diesen Mann noch nie in ihrem Leben vorher gesehen zu haben.
    »Ja, bitte?«, fragte sie.
    »Ist das die Möglichkeit? Die Angebetete tut wieder einmal ganz ahnungslos«, sagte der Besucher, und hielt ihr eine langstielige Rose entgegen.
    »Darf ich fragen, warum Sie bei mir geklingelt haben? Offensichtlich verwechseln Sie mich mit jemandem, ich jedenfalls kenne Sie nicht.«
    »Sie kennen mich nicht? Jetzt schlägt es aber dreizehn. Sie sind eine verflixte Spielerin. Ich renne Ihnen schon seit Wochen hinterher, und bin Ihnen immer noch unbekannt«, sagte der Besucher und wirkte durchaus amüsiert. »Lassen Sie mich auf ein Glas Wein herein, dann erkläre ich Ihnen, wer ich bin und was ich will.«
    Es war durchaus möglich, dass sie ihn schon irgendeinmal gesehen hatte, und ihn jetzt nun wegen ihrer Gesichtsblindheit nicht erkannte. Aber rote Rose hin, rote Rose her, sie war müde und hatte sich auf einen ruhigen Abend gefreut, und der Typ war ihr entschieden zu fordernd, wer weiß, was für Unverschämtheiten ihm in der Wohnung einfallen würden. Zudem bemerkte sie das leichte Zucken seines rechten Mundwinkels. »Der ist voll unter Spannung, aber um Dampf abzulassen, ist er bei mir an der falschen Adresse«, dachte sie.
    »Darf ich also reinkommen?«, fragte er ungeduldig.
    »Nein, Sie dürfen nicht. Ich habe mit Ihnen nichts zu besprechen. Ich kenne Sie nicht. Und ich möchte, dass Sie jetzt gehen.«
    »Ich fasse es nicht. Was bist du nur für eine Schlampe? Erst machst du die Männer an, dann lässt du sie links liegen und streichst sie aus deinem Gedächtnis, da bist du aber bei mir an den Falschen geraten.« Er begann die Tür aufzudrücken.
    »Verschwinden Sie, sonst rufe
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