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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam
Autoren: Carre
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begutachten, erklärte ihn für sauer und verordnete Süßes. Ein zweiter erklärte ihn für süß und ein dritter für lehmig. Es gab eine Menge aufzugraben.
     
    Old Hugos Begräbnis fand mit allen parlamentarischen Ehren statt; ein Baptistengeistlicher sprach des langen und breiten von einem erfüllten, im Dienste Gottes gelebten Leben. Doch Cassidy war nicht überzeugt, und ein paar Jahre später hörte er, daß Old Hugo in der Inverness Road ein neues Hotel eröffnet habe, das den Namen Ideal Star trage und von einer Mrs. Bluebridge geleitet werde.
     
    Von Cassidy selber war bekannt, daß er eine große Abneigung gegen Schnee hegte. Vom Haus in der Schweiz wurde nicht gesprochen; es war vermutlich verkauft worden.
     
    Mark und Hugo wuchsen heran und wurden immer verschiedener. Zu gegebener Zeit verliebten sie sich und erregten Anstoß.
     
    Dachte Cassidy jemals an Helen und Shamus? Speziell und mit Namen?
    Anfangs erreichten ihn Bruchstücke von Nachrichten, obgleich er sich nie danach drängte. Von Angie Meale, née Mawdray, der er gelegentlich beilag, unter dem Vorwand, einen Herzspezialisten aufzusuchen, erfuhr er, daß von Shamus ein Avantgardestück am Royal Court Theatre aufgeführt wurde; indes blieb eine Bestätigung aus. Das Stück wurde weder besprochen noch angezeigt. Um die gleiche Zeit traf eine Kiste Champagner in Haverdown ein, zusammen mit einem Exemplar eines Romans, betitelt Three for the Road . Beides schien von Shamus zu stammen. Cassidy las den Roman nie, und zu Weihnachten schickte er den Champagner der Polizeistation als kleine Versicherung gegen strafrechtliche Verfolgungen.
    »Kennen Sie den jungen Cassidy von Haverdown?« hörte man den Hauptwachtmeister in der Grafschaft. »Bemerkenswerter Bursche. Blühende Firma in London, gibt alles auf und zieht hier heraus und schickt uns allen Schampus zu Weihnachten …«
    Und im Winter, wenn das Feuer träge auf dem wohlvertrauten Kaminrost brannte, saß er beim Abendessen, von Sandra und Heather durch das schöne Silber und alte Worcester getrennt, und stellte sich vor, daß Helen mit ihren Anna-Karenina-Stiefeln in der Kastanienallee stehe, die Baumreihe entlangstarre auf die beleuchteten Fenster des Hauses. Oder Sandra spielte auf dem Flügel Beethoven – sie spielte zu jener Zeit nichts anderes –, und er entsann sich in den Gängen seines unmusikalischen Gehörs des Transistorradios in der Tasche ihres Hausmantels, als sie sich an jenem Morgen die Treppe heruntergestohlen hatte, um ihm sein Frühstück ans Sofa zu bringen. Nach solchen Augenblicken des Erinnerns befielen ihn zuweilen Alpträume: eine Reitpeitsche pfiff über seinen Schädel; er wurde gezwungen, Superbenzin zu trinken. Oder die Straßen von Paris hatten sich aufgetan, und der Hades spie seinen Brodem aus. Solche Visionen, von denen er niemandem erzählte, waren durch Alkohol nicht zu zerstreuen; und es half ihm nichts, daß er hartnäckig seine Unschuld an den Verbrechen beteuerte, deren sein Gewissen ihn anklagte. Soviel über Helen.
     
    Shamus vergaß Cassidy mit der Zeit völlig.
    Ihn vergessen wurde zuerst zu einer Übung, dann zur Fertigkeit.
    Shamus existierte nicht.
    Nicht einmal auf den einsamen Heimfahrten über das Moor, wenn Nebelschwaden die lange Kühlerhaube des Bentley entlang auf ihn zutrieben; auch nicht, wenn sein Name bei den Dinners kunstbeflissener Provinzdamen direkt erwähnt wurde, gab Cassidy zu, Shamus zu kennen, den Nehmer und Herausforderer des Lebens.
    Denn auf dieser Welt, auf diesem Rest von Welt, der noch bewohnbar geblieben war, wagte Cassidy nicht mehr an die Liebe zu denken.
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