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VT03 - Tod in den Wolken

VT03 - Tod in den Wolken

Titel: VT03 - Tod in den Wolken
Autoren: Mia Zorn
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runzelte die Stirn. »Wenn die Bestie so riesig ist, wieso hat sie keiner der Dorfbewohner gesehen oder gehört? Die letzten Überfälle fanden am helllichten Tage statt!«
    Kerim wich dem Blick seines Kaisers aus. Noch fester umklammerte er seinen Speer, bis der Knochen seines Handgelenks hell unter der dunklen Haut heraus stach. »Die Bestie ist ein Dämon, Ambaasa«, flüsterte er.
    Ein Raunen erhob sich unter den Jägern, die einen Kreis um das Gnuu gebildet hatten. Es waren zwanzig Männer aus den betroffenen Dörfern; die Bestie gab sich schon lange nicht mehr nur mit Wild zufrieden. Im Umkreis von zwölf Kilometern hatte sie in den vergangenen Wochen mehrere Siedlungen überfallen. Siebzehn Menschen waren ihr zum Opfer gefallen.
    Ohne aufzuschauen hob der Kaiser die Hand. Sofort trat Ruhe ein. »Wohin hat sich dieser Teufel verkrochen?«
    Kerim untersuchte erneut den Boden, der den Kadaver des Gnuus umgab. Er war sichtlich nervös. Fingerte im Gras herum, erhob sich umständlich und lief gebückt ein Stück auf die nördlich gelegene Wasserstelle zu. Dahinter erhob sich dunkel der Dschungel.
    Kerims nackter Oberkörper glänzte golden in der Mittagssonne. Das maisfarbene Tuch, das um seine Hüften gebunden war, hing bis zu seinen Knien herab. Jetzt blieb er stehen. Er neigte seinen kahl geschorenen Schädel zur Seite und lauschte. Wie eine aus Bernstein gemeißelte Statue ragte seine Gestalt aus dem saftigen Grün der Savanne.
    Pilatre de Rozier seufzte und erhob sich. Er wusste, was nun folgte. Schon viele Male hatte er Kerim in dieser Haltung erlebt: Wenn die Spuren ihn nicht weiter brachten, lauschte er den Stimmen des Dschungels! De Rozier konnte zwar nicht nachvollziehen, wie das funktionierte, aber er hatte hundert Mal erlebt, dass es funktionierte. Und manchmal vergingen Stunden, bis Kerim sich aus seiner Erstarrung löste.
    Die Augen des Kaisers wanderten zu der Dienerschaft, die hinter den Jägern im Gras hockte. Er gab ihnen ein Zeichen. Sofort schnellten seine Diener hoch, rafften einige Gerätschaften zusammen und eilten damit zu ihrem Herrn.
    Einer der Lakaien rammte einen Holzpflock in die Erde. Ein anderer befestigte darauf eine Platte. Aus den Händen eines Dritten flatterte ein silbernes Tuch über den provisorischen Tisch.
    Fasziniert verfolgten die Augen der Jäger jede Bewegung der Diener: Die Zöpfe ihrer weißen Perücken wippten auf und nieder. An ihren roten Samtanzügen glitzerten Knöpfe und Goldbesatz. Schwarze Fleggs tummelten sich auf den hellen Strümpfen, die unter den roten Kniebundhosen hervor schauten. Die Lederschuhe glänzten, als wären sie durch Wasser gegangen, und die roten Schleifen in ihrer Mitte zauberten ein spöttisches Lächeln auf das eine oder andere Gesicht der Zuschauer.
    Kaum hatte das Schauspiel begonnen, endete es auch schon wieder: Pilatre de Rozier saß in einem klappbaren Sitz aus weißem Segeltuch, vor sich eine Schale mit Früchten, eine Karaffe rubinroten Weines und ein prächtiger Kelch aus geschliffenem Kristall. Rechts und links von ihm standen seine Lakaien und hielten mit großen Blättern die Sonnenstrahlen vom Kopf ihres Herrn ab.
    Ihr Kaiser trug keine Perücke. Seine langen braunen Haare waren zu einem Zopf geflochten. Er trug knielange Hosen aus schwarzem Leder. An den Nähten schimmerten silberne Bordüren. Seine nackten Füße steckten in eigens angefertigten Mokassin aus Wakudaleder. Sein Hemd aus gelb gefärbten Leinen stand bis unter die Brust offen; dunkle Haare kräuselten sich über die Ränder. Darüber trug er einen Bolero aus Lepaardenfell. Er war ein großer Jäger.
    Und nicht nur das: Der große Ambaasa konnte Städte bauen, die unter dem Himmel schwebten, erfand Maschinen, die Dampf spuckten, und Gondeln, die durch die Luft segelten. Er hatte die Fehden der verfeindeten Stämme beendet und sie zu einem Volk zusammengeführt. Er war streng, aber gerecht. Von den Männern geachtet und von den Frauen begehrt. Ein geheimnisvoller Zauber umgab ihn. Er schien Macht über die Zeit zu haben. Sein Aussehen hatte sich in den fast fünfzig Jahren seit seiner Ankunft nie verändert; er war ihr ewig junger Kaiser.
    Und während die Jäger ihn dort sitzen sahen, erhaben und gelassen, war sich jeder Einzelne der Männer sicher: Selbst den schlimmsten Dämon würde ihr Kaiser besiegen.
    Pilatre war sich seines Rangs und der Anerkennung seines Volkes bewusst. Und er freute sich daran. Überhaupt konnte er sich glücklich schätzen: Er war reich,
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