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Voyeur

Titel: Voyeur
Autoren: Simon Beckett
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Umkleideraum benutze.»
    «Überhaupt nicht.» Ich folgte ihr hinein. Nichts erinnerte mehr an die Szene, deren Zeuge ich geworden war. Das Deckenlicht
     war an und warf ein grelles Licht ins Zimmer. Ich versuchte, nicht zum Spiegel zu schauen. «Wollen Sie fein ausgehen?»
    «Ich treffe mich mit meinem Freund zum Essen, danach wollen wir ins Theater. Es wird ein Stück von Alan Ayckbourn gespielt.»
    «Aha.» Ich konnte nicht anders, als an den Körper unter dem Kleid zu denken. Der jetzt von einem dünnen Stoff verhüllt war.
     Mir fiel ein, dass sie einen BH ausgezogen, aber keinen neuen angezogen hatte. Ich fragte mich, ob sie nur zur Arbeit einen
     trug. In meiner Anwesenheit. Der Gedanke verwirrte mich. «Na, dann hoffe ich, dass Sie sich amüsieren.»
    |24| Sie lächelte. Zum ersten Mal sah ich sie richtig an und bemerkte die dunklen Augenbrauen und die gerade, ziemlich lange Nase.
     Den großen Mund mit den, wie ich jetzt sah, sinnlichen Lippen. Ich beneidete ihren Freund. «Ja, hoffentlich. Die Karten
     haben ein Vermögen gekostet.» Sie drehte sich um und nahm eine Umhängetasche vom Boden. Für einen kurzen Moment zeichnete
     sich ihr Po unter dem Stoff des Kleides ab. Ich erinnerte mich an die sanfte, blasse Herzform, die er gebildet hatte.
    «Mögen Sie Ayckbourn?», fragte ich.
    «Keine Ahnung. Ich habe bisher noch nichts von ihm gesehen. Aber Marty – das ist mein Freund – hält ihn für genial.» Sie grinste.
     «Eigentlich traurig. Da muss mich erst ein Amerikaner dazu bringen, ein Stück eines englischen Autors zu sehen.»
    «Ihr Freund ist Amerikaner?» Plötzlich wurde mir klar, wie wenig ich von ihr wusste. Bisher hatte es mich nicht interessiert.
    «Er ist aus New York. Na ja, eigentlich aus Boston. Er ist hier an der Uni.» Sie rückte ihre Umhängetasche zurecht, ein
     Zeichen dafür, dass sie sich verabschieden wollte. Doch ich konnte sie noch nicht gehen lassen.
    «Tatsächlich? Welches Fach?»
    «Humanethologie. Er schreibt an seiner Doktorarbeit.»
    «Wie kommt es, dass er sich für London entschieden hat? Das ist doch ganz schön weit weg für ihn, oder?»
    «Also, ich glaube, ein wichtiger Grund war, dass er England kennenlernen wollte. Aber er sagt, dass der Fachbereich hier
     ziemlich gut ist.»
    Sie schaute auf ihre Uhr. Mir war klar, dass ich sie aufhielt, |25| aber ich hatte das Gefühl, ich müsste meine frühere Ignoranz gutmachen. Ich versuchte, ungezwungen zu klingen. «Sind Sie
     schon lange zusammen?»
    «Fast ein Jahr.» Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
    «Sie scheinen ihn sehr zu mögen.» Sie errötete. «Entschuldigen Sie, ich sollte nicht so neugierig sein.»
    «Schon in Ordnung. Sie sind nicht neugierig.»
    Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. Eine Weile standen wir beide unsicher schweigend da.
    «Tja, dann gehe ich mal», sagte Anna. «Oder brauchen Sie mich noch?»
    «Nein, nein, ich glaube nicht.» Ich wollte nicht, dass sie geht, mir fiel aber auch keine Ausrede ein, um sie dazubehalten.
     Ich machte ihr Platz und bemerkte entsetzt, dass ich eine Erektion hatte. Nervös trat ich hinter den Schreibtisch. Zum Glück
     hatte ich noch meinen Mantel an.
    «Dann bis morgen. Tschüs.» Anna verließ den Raum, und ich hörte sie nach unten gehen. Einen Moment später fiel die Tür ins
     Schloss.
    Ich rührte mich nicht. Ich war völlig verwirrt. Ich schaute hinüber zum Spiegel. Jetzt sah man darin nur das Büro und mich:
     grauhaarig, mittleren Alters und unattraktiv. Ich schaltete das Deckenlicht aus, sodass der Raum wie zuvor nur von der Schreibtischlampe
     erleuchtet wurde. Dann stellte ich einen Stuhl so hin, dass mein Blick ungefähr dem entsprach, den ich zuvor von draußen
     hatte, und starrte auf den Spiegel. Es war nichts zu sehen, doch mit ein wenig Konzentration konnte ich mir Anna darin vorstellen.
     Ich schloss die Augen. Das Bild blieb bestehen. Noch einmal sah ich ihre Brüste vor |26| mir und verfolgte im Geiste jede Kurve und jede Wölbung ihres Körpers. Ich sah ihren flachen Bauch, ihren Nabel, das schwarze
     Schamhaar. Sie beugte sich wieder nach vorn, und ich sah ihren straffen und runden Hintern, der von einem harmlosen, doch
     aufreizenden Schatten geteilt wurde. Mit geschlossenen Augen spielte ich alles in Zeitlupe ab und konnte bei manchen Szenen
     nach Belieben verweilen oder sie erneut anschauen.

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    |27| Kapitel 2
    Von da an war ich besessen. Ich konnte Anna nicht mehr anschauen wie zuvor.
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