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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche
Autoren: Alan Bradley
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der schon hinter mir stand.
    Ich weiß nicht, wie Dogger das macht, aber er taucht immer im richtigen Augenblick auf, wie die Figuren, die bei Kuckucksuhren pünktlich aus ihren Türchen hervorschießen.
    Schon ging er auf den Daimler zu, und der Chauffeur schlidderte und rutschte eifrig vorneweg, weil er natürlich als Erster am Wagenschlag sein wollte.
    Dogger gewann den Wettlauf.
    »Miss Wyvern. Darf ich Sie im Namen von Colonel de Luce herzlich hier auf Buckshaw willkommen heißen? Es ist uns eine Freude, Sie bei uns zu empfangen. Der Colonel hat mich gebeten, Ihnen sein unendliches Bedauern auszurichten, dass er nicht persönlich zu Ihrer Begrüßung anwesend sein kann.«
    Phyllis Wyvern nahm Doggers dargebotene Hand und stieg aus dem Wagen.
    »Seien Sie bitte vorsichtig, Miss Wyvern. Es ist ziemlich glatt heute Morgen.«
    Ich sah jeden ihrer Atemzüge deutlich in der kalten Luft, als sie Doggers Arm nahm und auf die Eingangstür zugeschwebt kam. Geschwebt! Man konnte es einfach nicht anders nennen. Trotz des rutschigen Fußwegs schwebte Phyllis Wyvern auf mich zu wie ein leibhaftiges Gespenst.
    »Wir haben Sie nicht vor Mittag erwartet«, sagte Dogger. »Deshalb ist der Fußweg noch nicht richtig freigeschaufelt und gestreut.«
    »Aber ich bitte Sie, Mr …«
    »Dogger.«
    »Mr Dogger, ich bin ein einfaches Mädchen aus Golders Green. Ich bin schon mal durch Schnee gegangen und traue mir diese Aufgabe auch ein weiteres Mal zu.«
    »Hoppla!« Sie kicherte und tat so, als würde sie ausrutschen, dabei strahlte sie ihn an und hielt sich an seinem Arm fest.
    Ich konnte nicht glauben, wie klein sie war. Sie reichte ihm kaum bis zur Brust.
    Sie trug ein enges Kostüm, eine weiße Bluse und einen schwarz-gelben Liberty-Schal, und trotz des trüben Lichtes wirkte ihr Teint wie Sahne in einer Sommerküche.
    »Hallo!«, sagte sie, als sie vor mir stand. »Dieses Gesicht habe ich schon einmal gesehen. Du bist Flavia de Luce, wenn ich nicht irre. Ich hatte sehr gehofft, dich hier anzutreffen.«
    Ich hörte auf zu atmen, und es machte mir überhaupt nichts aus.
    »Dein Foto war doch im Daily Mirror. Diese schreckliche Geschichte mit Stonepenny oder Bonepenny oder wie der Bursche hieß.«
    »Bonepenny«, hauchte ich. »Horace Bonepenny.«
    Bei diesem Fall war ich der Polizei, als sie absolut nicht mehr weiterwusste, ein wenig behilflich gewesen.
    »Richtig.« Sie nahm meine Hand und drückte sie so selbstverständlich, als wären wir Schwestern. »Bonepenny. Ich habe auch die Police Gazette und Wahre Verbrechen abonniert , und von der News of the World lasse ich mir keine Ausgabe entgehen. Ich lese leidenschaftlich gern Berichte über die berühmten Mörder: Die Bräute im Bad … Der Nuschler von Islington … Major Armstrong … Dr. Crippen … alles große, dramatische Stoffe. Das gibt einem schon zu denken, nicht wahr? Was wäre das Leben ohne das Rätsel des Todes?«
    Ganz meine Meinung!, dachte ich.
    »Aber jetzt gehen wir wohl besser hinein und lassen den armen Mr Dogger nicht länger hier draußen in der Kälte stehen.«
    Ich schielte zu Dogger hinüber, aber seine Miene war unbewegt wie ein Mühlteich.
    Als sie an mir vorbeischwebte, dachte ich unwillkürlich: Ich atme die gleiche Luft wie Phyllis Wyvern!
    Ich sog ihren Duft ein – den Duft von Jasmin.
    Wahrscheinlich war er mithilfe von Phenol und Essigsäure in irgendeiner Parfümerie zusammengebraut worden, dachte ich. Phenol oder auch »Carbol« war, wie mir dazu einfiel, Mitte des 17. Jahrhunderts von einem deutschen Chemiker namens Johann Rudolf Glauber entdeckt worden, wurde aber erst zweihundert Jahre später von Friedlieb Ferdinand Runge, einem Landsmann von Glauber, aus Steinkohleteer isoliert und auf den Namen »Carbolsäure« getauft. Ich hatte den hochgiftigen Stoff schon selbst durch die partielle Oxidation von Benzol hergestellt. Besonders reizvoll war auch, dass es sich dabei um den effektivsten Wirkstoff zum Einbalsamieren handelte, den die Menschheit kennt. Das Zeug wird immer dann benutzt, wenn eine Leiche möglichst lange frisch bleiben soll. Sehr lange. Sehr, sehr lange.
    Außerdem konnte man es bestimmt auch in gewissen schottischen Whisky-Sorten finden.
    Phyllis Wyvern war an mir vorüber in die Halle geschwebt und drehte sich jetzt erfreut um die eigene Achse.
    »Was für ein düsteres altes Haus!« Sie klatschte freudig in die Hände. »Es ist perfekt! Absolut perfekt!«
    Inzwischen hatte der Chauffeur das Gepäck gebracht und
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