Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche
Autoren: Alan Bradley
Vom Netzwerk:
uns den Tee selbst. Ich möchte Mrs Mullet die Treppe ersparen.«
    Ich strahlte sie an. Fast hätte ich sie bei der Hand genommen.
    »Außerdem kriegen wir unten vielleicht den neuesten Tratsch zu hören«, fügte sie hinzu. »Küchen sind nämlich eine Brutstätte für Skandale aller Art.«
     
    »Ooohhh!«, keuchte Mrs Mullet, als wir die Küche betraten. Abgesehen davon ging sie vorbildlich mit der Situation um.
    »Wir haben beschlossen, in die Kommandozentrale herunterzukommen«, sagte Phyllis Wyvern. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
    Ich sah, dass sie Mrs Mullet damit im Handumdrehen für sich gewonnen hatte.
    »Nein, nein, nein«, antwortete sie atemlos, »setzen Sie sich doch, Miss. Das Wasser kocht gleich, und ich habe auch einen leckeren Schmalzkuchen im Ofen, der jeden Augenblick fertig sein wird.«
    »Schmalzkuchen!«, jubelte Phyllis Wyvern begeistert, schlug die Hände vors Gesicht und spähte durch die gespreizten Finger. »Meine Güte! Schmalzkuchen hab ich das letzte Mal gegessen, als ich noch lange Zöpfe hatte!«
    Mrs Mullet strahlte.
    »Ich mach den immer zu Weihnachten. Das hat meine Mutter auch schon gemacht und ihre Mutter auch. Der Schmalzkuchen liegt uns im Blut, sozusagen.«
    Eher im Magen, dachte ich, aber ich schwieg wohlweislich.
    »Fertig!« Mrs Mullet zog den Kuchen mit zwei Topflappen aus dem Ofen und stellte ihn auf ein Gitter. »Wer sagt’s denn! Sieht fast so aus, als könnte man ihn essen!«
    Obwohl ich den alten Witz schon hundertmal gehört hatte, lachte ich pflichtbewusst. Zwar steckte darin mehr Wahrheit, als Phyllis Wyvern ahnte, doch ich wollte ihr das Vergnügen nicht vorzeitig verderben. Vielleicht fand sie das Zeug ja tatsächlich genießbar.
    Wären Kochen und Backen ein Dartspiel, würden die meisten Machwerke von Mrs Mullet neben der Scheibe an der Wand landen.
    Mrs Mullet schnitt den Kuchen in zwölf Stücke.
    »Zwei für jede Seele in diesem Haushalt«, verkündete sie mit einem Seitenblick auf Dogger, der soeben in die Küche kam. »Das hat man uns damals bei Lady Rex-Wells beigebracht: ›Zwei für jeden bringt langes Leben.‹ Und damit waren wirklich alle gemeint, von der Lady selber bis zum Gärtnergehilfen. Sie war ja ein richtiger Drachen, die Lady, aber sie ist neunundneunzigeinhalb geworden, also ist ja vielleicht doch was dran.«
    »Was meinen Sie dazu, Dogger?«, wandte sich Phyllis Wyvern an den Hausdiener, der unauffällig in einer Ecke stand und an seinem Tee nippte.
    »Schmalz ist gut für die Galle, die Galle ist gut für die Verdauung, und eine gute Verdauung sorgt für ein langes Leben«, antwortete Dogger zurückhaltend und schielte dabei in seine Tasse. »Hab ich jedenfalls mal gehört.«
    »Und zwei Stückchen Schmalzkuchen können das alles bewirken!« , sagte Phyllis Wyvern und klatschte abermals in die Hände. »Also dann auf die nächsten hundert Jahre!«
    Sie spießte ein Stückchen Kuchen auf ihre Gabel und hielt auf halbem Weg zum Mund inne, um Mrs Mullet ein Lächeln zuzuwerfen. Dann kaute sie versonnen.
    »Lieber Himmel!« Sie legte die Gabel wieder auf den Teller. »Lieber Himmel!«
    Nicht einmal sie mit ihrer großen Begabung konnte den sanften Würgereiz überspielen, den ich an ihrer Kehle ablas.
    »Wusste ich’s doch, dass er Ihnen schmeckt«, gurrte Mrs Mullet.
    »Aber ich muss mich beherrschen«, sagte Phyllis Wyvern, schob den Teller entschlossen von sich und stand abrupt auf. »Wenn es Kuchen gibt, verliere ich alle Hemmungen, und besonders bei Schmalzkuchen dauert es keinen Tag, bis der Genuss auf den Hüften landet. Das verstehen Sie sicherlich.«
    Mrs Mullet nahm den Teller weg und stellte ihn eine Spur zu sorgfältig in die Spüle.
    Ich wusste, dass sie das angefangene Kuchenstück mit nach Hause nehmen, es in Geschenkpapier einwickeln und in ihre Porzellanvitrine stellen würde, zwischen die Salz-und-Pfeffer-Hundefiguren mit der Aufschrift »Souvenir aus Blackpool« und den zierlichen Glasvogel, der auf und ab wippte und dabei Wasser aus einem Röhrchen trank.
    Wenn dann ihre Freundin Mrs Waller zu Besuch kam, würde Mrs Mullet das vergammelte Andenken auswickeln. »Sie kommen niemals drauf, wer hier abgebissen hat«, würde sie mit ehrfürchtig gedämpfter Stimme sagen. »Phyllis Wyvern! Hier – man sieht noch die Spuren der Zähne. Ich darf es Ihnen nur ganz kurz zeigen, sonst wird es noch schlecht.«
    Es klingelte an der Haustür, und Dogger stellte seine Teetasse ab.
    »Das ist bestimmt Bun«, sagte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher