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Vor der Flagge des Vaterlands

Vor der Flagge des Vaterlands

Titel: Vor der Flagge des Vaterlands
Autoren: Jules Verne
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Schritte entfernten schmalen Thür, die sich etwa in der Mitte der Mauer befand und wohl nur für das Personal der Anstalt bestimmt war, wenn es etwas am Ufer der Neuze zu thun hatte.
    »Auf diesem Wege, fuhr der Kapitän Spade fort, werden wir in den Park gelangen, ohne erst Leitern zu Hilfe nehmen zu müssen.
    – Die Thür ist natürlich aber geschlossen.
    – Sie wird schon aufgehen.
    – Befinden sich im Innern daran keine Riegel?
    – Die hab’ ich, als ich hinter dem Baumdickicht im untern Parktheile dahinging, bereits zurückgeschoben, ohne daß der Director etwas davon bemerkte.«
    Der Graf d’Artigas näherte sich der Thür und sagte:
    »Sie ist aber auch mittelst Schlüssels verschlossen.
    – O, den Schlüssel dazu hab’ ich schon hier!« antwortete der Kapitän.
    Dabei wies er einen Schlüssel vor, den er nach Zurückschiebung der Riegel aus dem Schlosse gezogen hatte.
    »Das hast Du gut gemacht, Spade, sagte der Graf d’Artigas; wahrscheinlich bietet nun die Entführung keine so besondern Schwierigkeiten. Wir wollen inzwischen nach der Goelette zurückkehren. Gegen acht Uhr, wenn es dunkel genug ist, wird Dich ein Boot mit fünf Mann hierher bringen.
    – Fünf… ja, das wird genügen, antwortete der Kapitän Spade, selbst für den Fall, daß uns der Wärter in den Weg tritt und wir uns seiner entledigen müssen.
    – Entledigen?… wiederholte der Graf d’Artigas. Nun ja, wenn es unbedingt nöthig erscheint. Wünschenswerther bleibt es aber, sich auch dieses Gaydon zu bemächtigen und ihn mit an Bord der »Ebba« zu schaffen. Wer weiß, ob ihm Thomas Roch’s Geheimniß nicht schon theilweise bekannt ist!
    – Das ist richtig.
    – Ferner ist der Irrsinnige an ihn gewöhnt und ich möchte an seinen Gewohnheiten so wenig wie möglich rütteln.«
    Diese Worte begleitete der Graf d’Artigas mit einem so bezeichnenden Lächeln, daß der Kapitän Spade gar nicht im Unklaren bleiben konnte, welche Rolle dem Wärter aus dem Healthsul-House zugedacht sei.
    Der Plan zu diesem Doppelraube war also festgestellt und schien die beste Aussicht auf Erfolg zu bieten. Wenn man im Laufe der nächsten zwei Stunden nicht gewahr wurde, daß an jener Parkthür der Schlüssel fehlte und die Riegel zurückgeschoben waren, hielt sich der Kapitän Spade für überzeugt, mit seinen Leuten in den Park des Healthsul-House eindringen zu können.
    Hier ist noch die Bemerkung am Platze, daß, mit Ausnahme des besonders sorgsam überwachten Thomas Roch, die übrigen Insassen der Anstalt ähnlichen Maßnahmen nicht unterworfen waren. Sie bewohnten verschiedne Pavillons oder Zimmer der Hauptgebäude im obern Theile des Parks. Alles ließ demnach vermuthen, daß Thomas Roch und sein Wärter Gaydon, wenn man sie im abseits liegenden Pavillon Nr. 17 überraschte und in die Unmöglichkeit versetzte, ernsten Widerstand zu leisten oder auch nur um Hilfe zu rufen, die Opfer dieser Entführung wurden, die der Kapitän Spade im Interesse des Grafen d’Artigas wagen wollte.
    Der Fremde und sein Begleiter wendeten sich jetzt einer kleinen Einbuchtung zu, wo eines der Boote von der »Ebba« sie erwartete. Die Goelette lag in der Entfernung von zwei Kabellängen vor Anker; ihre Segel waren in die gelblichen Hüllen eingewickelt und die Raaen hingen fast senkrecht herab, wie das auf den Lustjachten Gebrauch ist. Ueber dem Hackbord wehte keine Flagge; nur am Topp des Großmastes flatterte ein leichter rother Wimpel noch ein wenig im abflauenden Ostwinde.
    Der Graf d’Artigas und der Kapitän Spade nahmen in dem Boote Platz. Vier Ruder hatten sie binnen einigen Minuten nach der Goelette befördert, die sie von der Leiter an der Seite aus bestiegen.
    Der Graf d’Artigas zog sich in seine Cabine unter dem Hinterdeck zurück, während sich der Kapitän nach dem Vorderdeck begab, um seine letzten Befehle zu ertheilen. Nahe am Bug angelangt, beugte er sich über die Schanzkleidung des Steuerbords hinaus und sachte nach einem Gegenstand, der in der Entfernung von wenigen Faden im Wasser schaukelte.
    Es war eine Bake von geringer Größe, die von der Ebbeströmung in der Neuze bewegt wurde.
    Jetzt kam langsam die Nacht. Am linken Ufer des vielfach gewundnen Flusses begann die unbestimmte Silhouette von New-Berne allmählich zu verschmelzen; die Häuser hoben sich dunkel vom Horizonte ab, den vom Rande einer Wolkenbank im Westen noch ein rother Feuerstreif erhellte. An der entgegengesetzten Seite verhüllte sich der Himmel mit dichten Dunstmassen Ein
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