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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm
Autoren: Theodor Fontane
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Klarheit ihrer Seele zurückgewonnen hatte, saß wieder teilnehmend im Kreise der Ihrigen. Am andern Morgen sollten Lewin und Hirschfeldt nach Breslau hin aufbrechen. Sie waren in Vorbereitung für ihre Reise und packten eben an ihren Mantelsäcken, als sie vom Eckfenster her, zwischen den Pfeilern der Auffahrt, plötzlich eines Reiters gewahr wurden, der auf seinem Shetländer in den Hof einritt. Also Bamme. Alles lief ans Fenster, und selbst die Schorlemmer vergaß auf einen Augenblick ihre Abneigung. Denn sie war streitlustig, und neue Fehden standen jetzt in Aussicht. Am erfreutesten war Berndt, der es längst aufgegeben hatte, sich über die Schrullen und Eitelkeiten des Alten zu ereifern.
    »Nun, Bamme«, hob er an, als dieser sich gesetzt und ein Tablett mit Likören rasch hintereinander absolviert hatte, »wie war der Groß-Quirlsdorfer Befund? Dorf, Pfarre, Kanzel?«
    »Gut, Vitzewitz, über Erwarten gut. Er hat eben seinen Frieden mit mir gemacht. Gleich am andern Tage war Kirche. Da mußte sich's also zeigen, und neugierig, wie ich bin, wartete ich nicht einmal das dritte Läuten ab. Das strafte sich nun freilich, denn das Orgelspiel wollte kein Ende nehmen, und mir war ein paarmal, als würde das ganze Gesangbuch durchgesungen. Aber endlich kam er, und was glauben Sie, worüber er predigte? Über Saul und David predigte er. Und immer wieder hieß es: ›Saul hat tausend geschlagen, aber David hat zehntausend geschlagen.‹ Nun, Vitzewitz, wir wissen am besten, daß wir unserer Reputation diese Zehntausend eigentlich noch schuldig sind; aber enfin, der ewige kleine David, wer konnt es am Ende sein? Anfangs sträubt ich mich, bis ich mich schließlich drin ergab. Und so wissen Sie denn jetzt, meine Damen und, worauf ich ein besonderes Gewicht lege, auch Sie, meine liebe Schorlemmer, wer eigentlich unter Ihrem Dache weilt. Ein neuer Beweis für den alten Satz: Wer nur alt genug wird, wird alles.«
    Das Geplauder ging noch weiter, und ehe Mittag heran war – das Diner sollte nicht vor vier Uhr genommen werden –, machte Bamme den Vorschlag, zu Drosselstein hinüberzureiten, um »Ostpreußen mal wieder auf Herz und Nieren zu prüfen«.
    Berndt war es zufrieden, und nach einigen Minuten wurden die Pferde vorgeführt.
    Als sie bei Miekleys Mühle vorüber waren, sagte Berndt: »Was ich Ihnen sagen wollte, Bamme, wir haben ein Brautpaar im Hause.«
    »Das wäre! Die Schorlemmer?«
    »Nein.«
    »Ich dachte, sie hätte sich den Seidentopf rangebetet. Mit Speck fängt man Mäuse. Witwer und Urnensammler gehen ins Garn wie die Wachteln. Und nun gar dieser Seidentopf. Sehen Sie sich seinen Jubiläumsschrank an; er hat alles aufgehoben, was ihm seine Selige geschenkt hat. Und solch Kultus ist immer gefährlich.«
    Berndt lachte.
    »Sie verlieben sich in eine Ihrer Vorstellungen, Bamme, wie gewöhnlich. Aber die Tatsachen sind unerbittlich. Es liegt anders.
Nicht
Seidentopf.«
    »Nun, wer denn?«
    »Lewin.«
    »Gratuliere! Aber das ist erst einer, ein halbes Paar. Wer noch?«
    »Lewin und Marie Kniehase. Des Schulzen Kniehase Pflegetochter.«
    Bamme riß den Shetländer herum, daß er im rechten Winkel zu Vitzewitz stand, und sah diesen aus seinen kleinen Augen mit allen Zeichen aufrichtigsten Erstaunens an.
    »Sie verwundern sich?« sagte dieser.
    »Ja.«
    »Und mißbilligen es?«
    »Nein, Vitzewitz. Au contraire. Ich habe seit zehn Jahren, wenn ich das neunundzwanzigste Bulletin und den großen Diebstahl bei Krach ausnehme, nichts gehört, das mich so erfreut hätte als das. Das ist das reizendste Geschöpf, und ich verlange nach dieser Seite hin etwas, wie alle, die selber nicht viel einzusetzen haben. Also nochmals: gratulor! Wetter, Vitzewitz, das gibt eine Rasse.«
    Berndt wollte antworten, aber der Alte, der sich unerwartet einem Lieblingsthema gegenübersah, hatte wenig Lust, das Wort so schnell wieder aus der Hand zu geben.
    »Frisches Blut,«fuhr er fort, »frisches Blut, Vitzewitz, das ist die Hauptsache. Meine Ansichten sind nicht von heute und gestern, und Sie kennen sie. Ich perhorresziere dies ganze Vettern- und Muhmenprinzip, und am meisten, wenn es ans Heiraten und Fortpflanzen geht. Ihre Schwester, die Gräfin, dachte ebenso, und ich habe sie sich mehr als einmal zu Grundsätzen bekennen hören, die selbst mir imponierten. Ehre ihrem Andenken! Es war eine superbe Frau. Ja, Vitzewitz, wir müssen mit dem alten Schlendrian aufräumen. Weg damit. Wie ging es bisher? Ein Zieten eine Bamme, ein Bamme eine
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