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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm
Autoren: Theodor Fontane
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von der Pappel, wo sie nachher den Konrektor erschossen haben, und dann zweitens, weil er heute nachmittag (ich meine den General) in unseres Alten Kaleschwagen an mir vorbeigefahren ist. So Klocker drei. Die Ponies waren vorgespannt, und der Shetländer ging als Handpferd.«
    Kallies schüttelte den Kopf. »Du verstehst mich nich, Scharwenka. Das is es ja gerade, was ich meine. Nach Küstrin hin in der Kalesche und nach Frankfurt hin auf der Fuchsstute. Du hast sie fallen sehn. Gut. Aber tot oder nicht, macht keinen Unterschied. So was kommt vor. Du mußt doch wissen, was es mit ihm is. Uhlenhorst...«
    Hier brach das Gespräch ab, weil andere Bauern eintraten, unter ihnen auch Kniehase, vor dem Kallies eine Scheu hatte. Ganz besonders, wenn er sich mit Uhlenhorstschen Federn schmücken und allerhand schabernacksche Konventikler-Visionen in Kurs setzen wollte.
     
Siebenundzwanzigstes Kapitel
     
»Und eine Prinzessin kommt ins Haus«
    Eine Woche war vergangen. Die Strohschütten, die vor dem Hause lagen, waren weggeschafft worden, aber alles ging leise, als wäre noch jemand da, der nicht gestört werden dürfe. Renate hatte seit jenem Abend, wo wir sie zuletzt sahen, das obere Stock nicht mehr verlassen, und um ihretwillen war es, daß sich der Ton des Hauses dämpfte. Berndt arbeitete viel; im Erdgeschoß, auf spezielles Geheiß der Schorlemmer, standen zwei, drei Fenster auf, um das »Bammesche« wieder hinauszulassen, und statt Hoppenmariekens – von der es im Dorfe hieß, daß sie drei Nächte lang auf ihrem Grabe gesessen habe – erschienen abwechselnd Krist und Hanne Bogun, um Briefe und Zeitungen auf den Tisch zu legen. Es war eine rechte Jeetze-Zeit, alles still und grau und mit schwarzen Gamaschen; der alte Jeetze selbst aber, der kaum noch Dienst hatte, saß halbe Stunden lang neben der Binsenmatte und plauderte mit Hektor.
    So vergingen die Tage. Marie kam oft vormittags schon und stieg zu Renaten hinauf, um ihr vorzulesen oder zu erzählen. Nur von Tubal sprach sie nicht. Darnach begab sie sich zu Lewin in das Eckzimmer hinunter, der ihrer schon wartete, und sie saßen dann am Kamin oder in der tiefen Fensternische und gedachten vergangener stiller Tage, am liebsten des letzten Weihnachtsfestes und jenes schönen Plauderabends, wo sie, den hohen Christbaum zwischen sich, über seine hohe Spitze hinweg, die goldenen Nüsse geworfen und gefangen hatten. Von ihrem Glücke schwiegen sie, denn sie hatten eine Scheu, daß es fortfliegen könnte, wenn es genannt würde. Nur einmal kam es wie von ungefähr dazu. Das war an dem Tage, wo der Bohlsdorfsche Pastor, auf einer Dienstreise begriffen, bei seinem Hohen-Vietzer Amtsbruder vorgesprochen und zugleich auch einen Besuch auf dem Schulzenhofe gemacht hatte. Als Marie davon erzählte, sagte Lewin: »Ach, du weißt nicht, Marie, wieviel ich diesem alten Bohlsdorf und seiner Kirche verdanke. Vor allem
dich
. Dort begann ich zu genesen, noch eh ich wußte, daß ich krank war. Wie blind ich doch war und wie selbstsüchtig! Aber nun hab ich sehen gelernt und habe dich, dich, mein Glück und meine Goldstern-Prinzessin.«
    Es war unmittelbar nach diesen Worten, daß Berndt in das Zimmer trat und, das Erröten Maries wahrnehmend, ihr lächelnd und mit väterlicher Zärtlichkeit die Stirn küßte. Sie sah vor sich nieder und zitterte vor Bewegung, denn sie fühlte wohl, was ihr dieser Augenblick bedeute. Gleich darauf verabschiedete sie sich, um Vater und Sohn allein zu lassen.
    Als sie gegangen war, sagte Berndt: »Ich freue mich eures Glücks, Lewin, trotzdem ich noch nicht weiß, was ich all den Vitzewitzes, die draußen in der Halle hängen, zu sagen haben werde, wenn ich über kurz oder lang an anderer Stelle unter ihnen erscheine. Aber ich werde noch manch anderes vor ihnen zu verantworten haben. Ungehorsam und Auflehnung standen auch nicht in unserem Hauskatechismus, und ich denke, eines rechnet sich dann ins andere, und das Kleine wird in dem Großen mit aufgehen. Und nun nichts mehr davon. Ist es in den Sternen anders beschlossen, so wird eine französische Kugel mitsprechen. Gott verhüt es! Haben wir dich aber wieder, so haben wir auch Hochzeit. Und eines weiß ich, sie wird uns freilich den Stammbaum, aber nicht die Profile verderben, nicht die Profile und nicht die Gesinnung. Und das beides ist das Beste, was der Adel hat.«
     
    Und abermals lagen Tage zurück, und Renate, die sich in ihren einsamen Stunden wenn nicht die Heiterkeit, so doch die
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