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Vor aller Augen

Titel: Vor aller Augen
Autoren: Patterson James
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fuhr sie in ihrem eigenen Wagen davon.
    Doch nur über die Straße zur Lenox-Square-Einkaufspassage. Dort wurde Lizzie Connolly in einen blauen Dodge-Kombi umgeladen, der sofort davonbrauste.
    Der Kauf war abgeschlossen.

3
    Es war Montagmorgen und noch sehr früh. Den Rest der Welt und ihre Probleme hatte ich vergessen. So sollte das Leben sein, doch leider erwies sich diese Hoffnung häufig als trügerisch. Jedenfalls meiner Erfahrung nach, welche allerdings in Bezug auf das, was man ein »gutes Leben« nannte, ziemlich begrenzt war.
    Ich marschierte an diesem Morgen mit Jannie und Damon zur Sojourner-Truth-Highschool. Klein Alex watschelte fröhlich neben mir. Ich nannte ihn »Puppy«.
    Der Himmel über Washington, D. C., war teilweise bewölkt, aber ab und zu schickte die Sonne einen Strahl hindurch und wärmte unsere Köpfe und Nacken. Ich hatte bereits Klavier gespielt – Gershwin – fünfundvierzig Minuten lang. Und mit Nana Mama gefrühstückt. Ich musste erst um neun Uhr zu meinem Orientierungsunterricht in Quantico erscheinen. Das ließ mir Zeit, um halb acht mit zur Schule zu gehen. Und genau danach hatte ich mich in letzter Zeit gesehnt: Zeit mit meinen Kindern zu verbringen.

    Zeit, mich mit einem Dichter zu beschäftigen, den ich erst kürzlich entdeckt hatte: Billy Collins. Als Erstes hatte ich seine Nine Horses gelesen und jetzt war es Sailing Alone Around the Room . Billy Collins ließ das Unmögliche so leicht erscheinen – und so möglich.
    Zeit, mit Jamilla Hughes täglich zu telefonieren, oft stundenlang. Und wenn das nicht möglich war, dann E-Mails und zuweilen lange liebevolle Briefe. Sie arbeitete immer noch im Morddezernat von San Francisco, aber ich fühlte, dass die Entfernung zwischen uns schrumpfte. Ich wollte das und hoffte, dass es bei ihr ebenso war.
    Inzwischen veränderten sich die Kinder in Schwindel erregendem Tempo; besonders Klein Alex schien direkt vor meinen Augen zu wachsen. Ich musste mehr bei ihm sein – und das konnte ich jetzt. Das war mein Entschluss. Deshalb war ich zum FBI gegangen, zumindest zum Teil.
    Klein Alex war schon achtundachtzig Zentimeter groß und wog dreizehneinhalb Kilo. Heute Morgen trug er einen Overall mit Nadelstreifen und eine Kappe der Orioles. Er bewegte sich, als triebe ihn ein Wind von Lee vorwärts. Sein Plüschtier – eine Kuh namens Muh -, das er überallhin mitschleppte, wirkte wie Ballast, so dass er ständig eine leichte Linkskrängung hatte.
    Damon lief voraus. Er folgte einem schnelleren und zwingenderen Rhythmus. Mann, ich liebte diesen Jungen. Abgesehen von seinen Modevorstellungen. An diesem Morgen trug er abgeschnittene Jeans, Uptowns, ein graues T-Shirt und darüber einen Alan-Iverson-Pullover. Auf seinen dünnen Beinen spross pfirsichfarbener Flaum. Es sah so aus, als würde sein Körper sich aus den Füßen heraus entwickeln. Große Füße, lange Beine, ein jugendlicher Körper.
    An diesem Morgen bemerkte ich alles. Ich hatte Zeit dazu.

    Jannie trug typischerweise ein graues T-Shirt mit dem Aufdruck »Aero Athletics 1987« in großen roten Buchstaben, dazu eine knöchellange Jogginghose mit einem roten Streifen an den Seiten und weiße Adidas-Turnschuhe mit roten Streifen.
    Was mich betraf – ich fühlte mich rundum wohl. Ab und zu sagte mir jemand, dass ich wie der junge Muhammad Ali aussähe. Ich wies das Kompliment stets weit von mir, hörte es aber eigentlich nicht ungern.
    Â»Heute Morgen bist du furchtbar still, Dad.« Jannie hängte sich bei mir ein und sagte: »Hast du Ärger in der Schule? Bei deiner Orientierung? Bist du gern ein FBI-Agent?«
    Â»Bis jetzt gefällt’s mir«, erwiderte ich. »Die nächsten zwei Jahre sind Probezeit. Die Orientierung ist gut, aber für mich ist vieles Wiederholung, besonders das, was sie ›Praxis‹ nennen. Schießstand, Waffenreinigen, Übungen, wie man Verbrecher fängt. Deshalb kann ich an manchen Tagen später hingehen.«
    Â»Aha, du bist also schon Lehrers Liebling«, meinte sie und zwinkerte mir zu.
    Ich lachte. »Ich glaube kaum, dass die Lehrer von mir oder irgendeinem anderen Cop besonders beeindruckt sind. Wie läuft’s denn bei Damon und dir so dieses Jahr? Sind nicht bald Zeugnisse fällig?«
    Damon zuckte mit den Schultern. »Wir haben nur Einser. Warum wechselst du immer das Thema, wenn’s
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