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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig
Autoren: Theodor Fontane
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»eingeschrieben« ein ziemlich umfangreiches Briefpaket ein, augenscheinlich ein Manuskript. Absender war ein alter Herr, der, zur Zeit als Pensionär in Görlitz lebend, in seinen besten Mannesjahren Bürgermeister in jener Stadt gewesen war, in deren Nähe die vorerzählte Tragödie gespielt und in deren Mauern die Prozeßverhandlung stattgefunden hatte. Während seiner Amtsführung war ihm die Lust gekommen, sich eingehender mit jener Cause célèbre zu beschäftigen, und was er mir da schickte, war das den Akten entnommene Material zu einem, wie er mit Recht meinte, »märkischen Roman«. In den Begleitzeilen hieß es: »Ich schicke
Ihnen
das alles; denn Sie sind der Mann dafür, und ich würde mich freun, den Stoff, der mir ein sehr guter zu sein scheint, durch Sie behandelt zu sehn.«
    Man stelle sich vor, wie das auf mich wirkte. Die Beantwortung des Briefes war nicht leicht, und ich schrieb ihm ausweichend, »ich sei zu alt dafür.« Wenn aber dem liebenswürdigen Herrn diese »Mitteilungen aus meinem Leben« in Blatt oder Buch zu Gesicht kommen sollten, so wird er aus ihnen den eigentlichen Grund meiner Ablehnung ersehn. Ihm diesen eigentlichsten Grund zu schreiben, war
damals
unmöglich; es hätte auf ihn wirken müssen, wie wenn man einen freundlichen Anekdotenerzähler undankbar mit dem Zurufe: »Kenn' ich schon« unterbricht.
     
Zweites Kapitel
     
Literarische Vereine. Der Lenau-Verein: Fritz Esselbach, Hermann Maron, Julius Faucher
    Am Schluß des vorigen Kapitels sprach ich von ein paar Arbeiten, einem kleinen Epos und einem längeren Roman, an denen ich während des Sommers 1840 arbeitete. Das leitet mich zu dem
literarischen Verkehr
hinüber, den ich damals hatte. Dieser war, auf meine bescheidenen Lebensverhältnisse hin angesehn, ein sehr guter zu nennen und machte mich ziemlich gleichzeitig zum Mitgliede zweier Dichtergesellschaften, deren eine sich nach
Lenau,
die andere nach
Platen
benannte. Den beiden Dichtern, die die Paten und Namensgeber dieser Vereine waren, bin ich bis diesen Tag treu geblieben.
    Ich beginne mit dem
Lenau-Verein,
in den ich mich durch meinen Freund Fritz Esselbach eingeführt sah. Zunächst ein Wort über diesen meinen Freund.
     
    Meine Bekanntschaft mit ihm –
Fritz Esselbach –
datierte schon von der Schule her und hatte sich so plötzlich und beinah so leidenschaftlich eingeleitet, wie sonst nur eine Liebe, nicht aber eine Freundschaft zu beginnen pflegt. Ich war auf einem märkischen Gut zu Besuch gewesen und machte von dorther die Rückreise nach Berlin mit einer jener immer nach Juchtenleder riechenden alten Fahrposten. Gleich nach Mitternacht kamen wir in Oranienburg an, in dessen Passagierstube mir ein schlank aufgeschossener junger Mann von etwa fünfzehn Jahren auffiel, der für nichts andres Augen zu haben schien als für seine drei jüngeren Geschwister. Ich wurde sofort von einem Gefühl stärkster Zuneigung erfaßt und sagte mir: »Ja,
so
möchtest du sein! Ja, wenn du solchen Freund je haben könntest!« Aber wer beschreibt mein Staunen und Entzücken, als ich denselben jungen Menschen am andern Morgen in meiner Schulklasse vorfand. Er hatte bis dahin dem »Joachimsthal« angehört und sich erst ganz vor kurzem entschlossen, das Gymnasium mit der Gewerbeschule zu vertauschen, weil ihm alte Sprachen zu schwer wurden. Er war überhaupt von sehr mäßigen Anlagen, aber von einem ganz ausgezeichneten Charakter, fein, vornehm, treu, gütig. Leider auch ein wenig sentimental und dabei ganz Idealist, was verhängnisvoll für ihn wurde. Ziemlich spät, als er schon Mitte der Zwanzig sein mochte, begann er, sich der Landwirtschaft zu widmen, und ging zu diesem Behufe nach Schlesien, allwo er denn auch, nachdem er sich in höherem Mannesalter glücklich verheiratet hatte, gestorben ist. In den Jahren aber, die seiner Verheiratung weit vorausgingen, ging er durch schwere Prüfungen. Er hatte sich auf dem Gut, auf dem er die Landwirtschaft zu lernen begann, in ein Hofemädchen verliebt, so leidenschaftlich, so bis zum Sterben, daß er sie zu heiraten beschloß. Ihr ganz ungewöhnlicher Liebreiz, mit natürlicher Klugheit gepaart, ließ diesen Entschluß auch als verständig erscheinen. Er gab sie, nach Breslau hin, in Pension, um sie hier heranbilden zu lassen, und ersehnte den Tag ihrer Vereinigung. In den Sternen aber war es anders beschlossen; seine halb väterliche pädagogische Fürsorge, die es mit Bildung und Erziehung ganz ernst nahm, erschien dem
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