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Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Titel: Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
Autoren: Christine Graefin von Bruehl
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wurden oder in der Hühnerbrühe ein echtes Huhn geschwommen hatte.
    Grimm verschweigt seinen Lesern nicht, wie groß der Schaden ist, den man seinem Organismus mit diesen Fremdstoffen auf Dauer zufügt. Zwar wurden all diese chemischen Zutaten ursprünglich auf ihre Unschädlichkeit getestet, doch man ging damals keineswegs davon aus, dass sie in so großen Mengen verzehrt werden, wie es heutzutage üblich ist. So hat sich, nur um ein Beispiel zu nennen, der Verbrauch des Geschmacksverstärkers Glutamat in den letzten fünfzehn Jahren fast verdoppelt, von 800   000 auf 1,5 Millionen Tonnen weltweit. Zu finden ist diese Zutat in Tütensuppen, Schinken und fast jeder Salami, auch in Knabberkost wie Chips und Flips. »Glutamat ist so der wichtigste Zusatz der Nahrungsindustrie – und wohl auch derjenige mit den weitreichendsten Auswirkungen |45| auf die Gesundheit. Die Hersteller beteuern zwar seine Unschädlichkeit. Doch viele Forscher sehen Glutamat als Hauptverdächtigen für viele Gesundheitsstörungen von vorübergehendem Unwohlsein bis zu dauerhaften Hirnschäden«, schreibt Grimm im Berliner
Tagesspiegel
.
    Verlorengegangen sind uns auf diese Weise nicht nur der Genuss am Speisen und die gesunde Ernährung, sondern generell die Kenntnis davon, wie gutes Essen eigentlich schmeckt. Grimm erzählt in seinem Buch von Schulkindern, die auf Initiative Ernst-Ulrich Schassbergers, des Präsidenten der internationalen Köchevereinigung Eurotoques, regelmäßig auf ihren Geschmackssinn geprüft werden. Im Rahmen der Aktion kommen Köche in die Klassenzimmer und spielen mit den Kindern Kräuterraten. Die Schüler einer Schule in Berlin-Kreuzberg schossen in dem Wettbewerb den Vogel ab: »Auf Anhieb konnte dort die mineralreiche salzige Meeresalge als Meeresbohne benannt werden«, so Grimm. Eine Erklärung dafür war leicht zu finden. Achtzig Prozent dieser Schulkinder kamen aus Familien mit Migrationshintergrund. Bei ihnen zu Hause wird noch selbst gekocht und das meiste frisch zubereitet.
    Seit ich eigene Kinder habe, achte ich darauf, dass sie sich einigermaßen gesund ernähren. Bei uns gibt es kaum Süßigkeiten, weder Limo noch Nutella. Aber ich möchte nicht wissen, was Murkel für einen Aufstand machen würde, wenn ich seine geliebte Tütensuppe abschaffen würde. Und selbstredend lümmeln auch immer ein paar Fertigpizzas in unserem Tiefkühlfach. Wenn Kinder Hunger haben, geht ihre Laune schlagartig in den Keller. Solange sie noch nicht sprechen können, fangen sie einfach |46| an zu brüllen. Man muss sofort reagieren und hat keine Zeit, die klitzeklein gedruckte Nährwerttabelle auf Spinat- oder Fischstäbchen-Packungen zu studieren, um sie mit der Liste der Grimm’schen Kampfstoffe abzugleichen, die man dringend vermeiden muss.
    Ich wusste auch ziemlich genau, dass ich in der zweiten Phase meiner selbstverordneten Verlangsamung nicht anfangen würde, Marmelade einzukochen oder selber Brot zu backen. Auch regelmäßige Besuche auf dem Biomarkt passten nicht in meinen Alltag, ganz zu schweigen von den Preisen, die man dort zahlen muss. Doch irgendetwas musste sich ändern. Ich wollte eine Möglichkeit finden, die Gerüche und Erinnerungen in mein Leben zurückzuholen, die mit genussreichem Essen verbunden waren, den Geschmack einer Brühe aus echten Rinderknochen oder den einer Suppe aus echtem Gemüse. Ich wollte wieder einmal Radieschen essen, die nicht nur nach Wasser schmecken, und einen Apfel entkernen, in den ein Wurm sein Loch gefressen hat. Ich wollte Salat und Tomaten zu mir nehmen, denen anzumerken war, dass sie gewisse Reifeprozesse durchlaufen hatten, bevor sie geerntet wurden und auf meinem Küchentisch gelandet waren. Zuvor hatte mein tägliches Mittagessen dem Totschlag gedient. Es galt, den Hunger zu erschlagen, damit ich ungestört weiterarbeiten konnte. So ging es nicht weiter.
    Ich erinnere mich noch gut, wie es roch, wenn die alte Bäuerin auf dem Nachbarhof des Tiroler Ferienhauses meiner Eltern Brot gebacken hatte. Unzählige Sommer- und auch Winterwochen verbrachten wir dort oben in den Bergen. Die alte Frau hatte einen eigenen, zusätzlichen Ofen für ihre Bäckereien. Er stand außerhalb der Küche, |47| rechts in der Ecke des Flurs. Im Winter konnte man dort auch Schuhe und Jacken wärmen, bevor es wieder hinausging in die Kälte und den haushohen Schnee. Die Bäuerin mengte Kräuter in den Teig und andere Raffinessen, deren Namen sie mir nie verraten hat. Es muss Kümmel dabei gewesen
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