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Von Draussen

Von Draussen

Titel: Von Draussen
Autoren: Raimon Weber
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eingehen. Auf dem Schulhof habe ich bereits zwei wertvolle Neuner verloren. Ausgerechnet an Debra, die Klassenzicke. Nach meiner Niederlage hat sie ein so hämisches Gesicht gezogen, dass ich ihr am liebsten die Nase gebrochen hätte.
    An der Wand hängt ein riesiges Plakat. Darauf ist natürlich Bürgermeister Sato abgebildet. Er tätschelt einer Kuh den mächtigen Schädel. Diese Tiere kenne ich nur aus dem Biologie-Unterricht. Ich habe keine Ahnung, wo das Foto gemacht wurde. Tier und Bürgermeister scheinen auf einer Wiese zu stehen. Im Hintergrund sind weitere Kühe zu erkennen. Im blauen Plakathimmel prangt in schwungvollen Lettern der Slogan Trinkt mehr Milch!
    Ich kann mich schwach an dieses Getränk erinnern. Im Kinderhort bekamen wir es manchmal. Damals muss ich etwa vier Jahre alt gewesen sein.
    Der Kassierer, ein schlaksiger junger Bursche mit enormen Ohren, erwartet mich an der Kasse.
    Ich deute auf das Plakat. Es ist selbst von hier nicht zu übersehen. „Wo steht denn die Milch?“
    Er blickt völlig desinteressiert. „Haben wir nicht. Vielleicht kommt sie irgendwann.“
    Ich reiche dem Kassierer meine beiden Vierer-Karten.
    „Oh, schade“, macht er. „Das könnte doch heute dein Glückstag sein.“ Wie alle in Porterville liebt er das Spiel mit den Mac-Kingsleys.
    „Oder deiner!“, erwidere ich und versuche, dabei nicht auf seine abstehenden Riesenlauscher zu starren.
    Schade, denke ich, Großvater hätte sich bestimmt über etwas Milch zu den Schokomints gefreut.

- 3 -

    Ich habe zwar einen eigenen Schlüssel zu Großvaters Wohnung, aber der Höflichkeit halber kündige ich mein Kommen immer durch zweimaliges Drücken auf den Klingelknopf an. Dann warte ich einen Moment. Manchmal geht es Großvater gut genug, um aufzustehen und die Tür von innen zu öffnen. Heute bleiben seine schlurfenden Schritte aus. Ich betrete den Flur und rufe halblaut: „Großvater! Ich bin es!“
    Keine Antwort. Es ist absolut still in der Wohnung. Staubpartikel blitzen in einem gebündelten Sonnenstrahl, der durch den Schlitz einer dunklen Gardine vor dem Fenster dringt. In Großvaters Wohnung ist es immer düster.
    „Hier ist Emily!“
    Noch immer meldet er sich nicht mit seiner heiseren Stimme. Mit einem Mal bekomme ich Angst. Angst, dass er doch gestorben ist. In meiner Abwesenheit und vergessen von allen Menschen.
    Ich haste ins Wohnzimmer. Großvater sitzt in seinem Lieblingssessel. Der Kopf ist ihm auf die Brust gesunken. Zu seinen Füßen liegt ein aufgeschlagenes Buch. Eine Seite ist geknickt. Großvater geht mit seinen Büchern sehr sorgsam um. Es muss ihm aus den Händen gerutscht sein, als er ...
    „Großvater!“, rufe ich jetzt, so laut ich kann.
    „Häh?“, höre ich ihn sagen und atme erleichtert aus. Er hustet und richtet seine Augen auf mich. Er gestikuliert fahrig mit seinen Händen.
    Die Brille!, fällt mir ein. Sie liegt ebenfalls auf dem Boden. Er muss eingenickt sein, dabei ist sie ihm von der Nase gerutscht. Ich hebe die Brille auf und setze sie Großvater behutsam auf.
    „Emily!“, stellt er fest und sein Blick klärt sich. Großvater entdeckt das Buch auf dem Fußboden. „Würdest du mir das bitte geben?“
    „Gern.“
    Er versucht, die geknickte Seite zu glätten. „Ich bin wohl eingeschlafen“, murmelt er dabei und gähnt.
    „Ich habe dir Schokomints mitgebracht.“
    Großvater betrachtet erstaunt die Schachtel aus Metall. „Das sollst du doch nicht. Die sind viel zu teuer.“
    Ich winke ab. „Der Preis wurde auf acht Punkte gesenkt. Toll, nicht wahr?“
    Er öffnet die Schachtel. Es freut mich, wie er die Lippen zu einem schmalen Lächeln verzieht und eine Weile die Köstlichkeit nur mit seinen Augen verschlingt. Zartbitter-Schokolade mit einer erfrischenden Cremefüllung aus echter Pfefferminze. Ganz langsam und vorsichtig, als könnte sie zwischen seinen Fingern zerbrechen, nimmt er eine der flachen Pralinen aus der Schachtel und steckt sie sich in den Mund.
    „Bitte, Emily, greif zu.“
    Wir lutschen schweigend die Schokomints. Die Umhüllung aus Schokolade ist viel süßer, als ich sie in Erinnerung habe, und als ich auf die Füllung stoße, schmeckt sie kaum noch nach Minze sondern eher nach ...
    „Sie haben die Rezeptur geändert“, bemerkt Großvater.
    „ Supreme !“, entfährt es mir. „Da ist Supreme in der Füllung. Deshalb ist es auch so billig.“
    „Macht nichts“, erwidert Großvater. „Es schmeckt trotzdem noch ganz gut.“ Er stellt die Schachtel auf
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