Vom Nehmen Und Genommenwerden

Anhieb fassbar ist, die sich aber für uns und für die Menschen in unserem Umfeld immer deutlicher zeigt. Es ist, als ob wir uns auf eine lange Reise begeben hätten, um einen wundervollen Ort zu besuchen, von dem wir zwar wussten, dass es ihn gibt, aber nicht, wo und nicht einmal, was er denn genau ist. Denn eigentlich ist dieser Ort kein Ort, sondern ein Zustand, eine Stille, eine Kraft.
    Wenn wir dieses Etwas durch das ganzheitliche Lieben berühren, kehren wir als ein anderer und eine andere ins Leben zurück. Wir sind voller Mitgefühl für alles und jeden, der uns auf unserer Lebensreise begegnet. Wir fühlen Respekt für jedes Wesen, denn wir wissen, dass wir mit allem und jedem verbunden sind. Wir wissen, weil wir den Weg selbst gegangen sind, was es kostet, dahin zu gelangen.
    Durch das Mitgefühl wächst der Wunsch, uns zu verschenken und mit unserer Liebe alle Wesen gleichermaßen zu berühren. Anstatt zu bewerten und zu urteilen, nehmen wir eine Haltung liebevoller Achtsamkeit ein, aus der wir unsere Handlungen nach und nach immer mehr entlang einer inneren Weisheit ausrichten.
    Doch Vorsicht: Wir sind als Menschen, sosehr wir uns auch um spirituelle Entwicklung bemühen, immer zur einen Hälfte Geschöpfe der Erde und zur anderen Geschöpfe des Himmels. Das bedeutet, dass wir, auch wenn wir manchmal den Himmel berühren, sei es beim sexuellen Lieben, sei es beim Blick in Kinderaugen oder auch ganz grundlos, weil wir uns gerade erinnern, wer wir wirklich sind, immer auch wieder auf die Erde zurückkehren und uns mit der Polarität im Hier und Jetzt auseinandersetzen müssen. Es bedeutet, dass nichts Verkehrtes daran ist, wenn wir von Zeit zu Zeit in Egoismus, Wut, Trotz oder Intoleranz zurückfallen. Wir können nicht allein von unseren Idealen leben, wir können nicht alles umsetzen, was als Idee erstrebenswert erscheint. Das gilt auch für den Weg zur reifen Partnerschaft. Denn auch dieser Weg kommt nie wirklich zu einem Ende. Wir sind und bleiben Lernende, wir machen Fehler, wir korrigieren sie, wir verzeihen uns und anderen. Die Ideen für ein ganzheitliches Lieben sind nicht als Sofortlösungen zu verstehen, die wie ein Rezept angewandt werden und so zu sicherem Erfolg führen. Jeder Mensch ist einzigartig und steht an seinem richtigen Ort, so wie jedes Paar genau am richtigen Ort seines Beziehungsbogens ist.
    Wir gehen davon aus, dass wir alle die Sehnsucht in uns tragen, zu lieben und geliebt zu werden, um darüber hinaus das Bestmögliche mit unserem Partner zu teilen: knisternde Erotik, leidenschaftliche Sexualität, tiefe Beziehung und geistig-spirituelle Ausrichtung.
    Der britische Historiker Theodore Zeldin sagt voraus, dass große Veränderungen der Zukunft nicht mehr durch außergewöhnliche Individuen oder Massenbewegungen hervorgerufen werden, sondern von Paaren ausgehen. Für uns und unsere Arbeit ist diese Aussage eine enorme Motivation. Immer mehr Paare geben sich nicht mehr mit einer herkömmlichen Beziehung zufrieden, die ihnen zwar Sicherheit, aber keine Geborgenheit gibt, die ihnen zwar Spaß macht, sie aber nicht erfüllt. Sie wollen als Paare etwas absolut Neues erschaffen, etwas, das das romantische Liebesideal ablöst zugunsten von Wachstum und Reifung beider.
    In diesem Buch haben wir versucht, gangbare Wege zu einer reifen Partnerschaft, zu erfüllender Sexualität zu zeigen. Wir haben zu einem neuen Umgang mit den Polaritäten der Geschlechter aufgerufen. Wir haben gezeigt, dass das nicht einfach ist, obwohl wir so gerne auf den Schwingen der Liebe in den Himmel aufsteigen möchten. Wir tragen sozusagen das Gewicht der Welt auf unseren Schultern, einfach dadurch, dass wir Menschen sind. Aber wir können den Mut in uns wecken, uns den überkommenen Traditionen zu stellen, und bereit sein, uns mit der eigenen Geschichte und der unserer Vorfahren auseinanderzusetzen. So werfen wir all den Ballast ab, der uns daran hindert, wahrhaftig zu lieben, ohne uns dabei aufzugeben.
    Dies alles ist kein theoretisches Unterfangen, sondern ausgesprochen praktisch und lustvoll. Einen möglichen Weg haben wir in diesem Buch gezeigt: Wir lösen die Teile unserer sexuellen Geschichte, die uns einschränken und belasten, auf. Wir folgen unserer eigenen Lust, können aber auch Grenzen setzen und akzeptieren. Wir sind in unserer sexuellen Identität gefestigt und fähig, uns hinzugeben. Das