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Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Titel: Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)
Autoren: Liv Winterberg
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gelangt, dass die beiden Frauen in seinem Leben versorgt waren. Er konnte die Reise antreten. Alles war sorgsam vorbereitet, und nun das: ein Schlag ins Gesicht. Aus den eigenen Reihen. Den Emporkömmling Abraham Miller wollte man ihm als Schiffskommandanten vorsetzen. Abraham Miller, diesen schmächtigen Hänfling, der ein-, zweimal auf Schiffen der Ostindischen Kompanie mitgereist war. Der nicht einen Tag seines Lebens in der Navy gedient hatte.
    Carl registrierte ein rhythmisches Anklopfen. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Franklin Myers schob sich in das Zimmer. Wortlos kam er auf den Schreibtisch zu.
    »Wolltet Ihr nicht künftig warten, bis ich Euch auffordere, einzutreten?«, fragte Carl und schaute auf.
    Franklin Myers nahm im schweren Sessel vor dem Schreibtisch Platz, lehnte sich zurück und faltete die Hände. Das feuchte Wetter hatte sein rotblondes Haar stärker gekraust als sonst. Wirr hatte es sich aus dem Zopfband gelöst und stand am Hinterkopf ab. Schon als Carl die Royal Society verlassen hatte, war er sich sicher gewesen, seinen Gehilfen heute nochmals anzutreffen. Berechnenkonnten sie einander, als wäre ihr Umgang die einfache Addition alltäglicher Gewohnheiten. Eine Rechenoperation, zielgerichtet und im Ergebnis logisch.
    »Da wir nun beieinandersitzen, möchte ich Euch bitten, mir eine Einschätzung der heutigen Versammlung zu geben«, sagte er.
    Franklin lächelte. »Abraham Miller ist eine geistreiche Erscheinung. Als Hydrograph bringt er doch jene Qualifikationen mit, eine Entdeckungsfahrt dieser Größenordnung zu befehligen. Er ist in der Lage, das Messer zu führen, um Stifte zu spitzen. Er öffnet seine Tintenfässer selbstständig und   –«
    Carl fuhr von seinem Stuhl auf und stützte sich auf die Platte seines Schreibtisches. Die Bücher gerieten ins Rutschen, und zwei von ihnen fielen zu Boden. Es war ihm gleichgültig. Er wandte seinen Blick erneut Franklin zu. Nein, zum Scherzen war er nicht aufgelegt. »Sir Wellington ist – und bitte korrigiert mich, sofern ich mich irre – ein Philosoph. Wie kommt ein Philosoph dazu, der Admiralität der Royal Navy diesen Nichtsnutz Miller als Kommandanten einer Forschungsreise vorzuschlagen?« Seine Stimme wurde lauter, er konnte es nicht verhindern. »Seit Wochen wird Zeit mit diesem Unsinn vertändelt. Wie kommen die Gentlemen jetzt darauf, eine Petition an die Admiralität zu formulieren, ohne diese mit mir abzustimmen?«
    Franklin strich sich übers Haar, er schien zu spüren, dass es in die Höhe ragte. Mehrfach drückte er die Locken flach. »Ihr habt die Sitzung zu früh verlassen, Sir«, sagte er, während die Strähnen sich wieder aufrichteten. »Sir Wellington führte aus, dass immer noch zu viele Unstimmigkeiten in den Karten zu finden seien. Er sprach sogar von den ›wandernden Inseln des Pazifiks‹ und legte höchsten Wert darauf, Kapitän Cooks Aufzeichnungen weiterführen zu lassen.«
    »Abraham Miller soll Cooks Aufzeichnungen weiterführen?« Carl sah die Mannschaft schon im Hafen von Plymouth die Arbeit verweigern. Derbes Pack, das mit verschränkten Armen anBord stand und den Hänfling beobachtete, der Befehle um sich schleuderte, die nicht einmal die Schiffsjungen befolgten. Kapitän Taylor, das war ihr Mann! Ein Offizier der Navy. Erfahren, fleißig, zuverlässig, mit hervorragenden Navigationsfähigkeiten. Wie sollte irgendwer an Bord, fragte er sich, wissenschaftlich arbeiten, wenn niemand in der Lage war, die Mannschaft im Zaum zu halten?
    Franklins Stimme unterbrach ihn in seinem Gedankengang. »Mr.   Miller hat noch einmal betont, dass er es ablehnt, als Wissenschaftler an Bord zu gehen. Entweder bekommt er die Leitung des Schiffes anvertraut, oder er reist nicht mit.«
    Immer noch stand Carl auf den Schreibtisch gestützt. In den Wandleuchtern waren die ersten Kerzen erloschen und mussten gewechselt werden. Das dunkle Holz der Wände schien das letzte Licht zu schlucken. Er bückte sich, hob die Bücher vom Boden auf und legte sie auf den Tisch zurück.
    »Es freut mich, zu hören, dass er zur Besinnung kommt.« Der faltige Wellington, der widerwärtige Miller, die gesamte Royal Society: Erschöpft hatten sie ihn. Allesamt. Mühselige Wortschlachten, eilig geschmiedete Allianzen, und all dies, um persönliche Befindlichkeiten zu befriedigen. So viel verschwendete Energie so kurz vor der Abreise.
    Franklin trat auf die Kommode zu und griff nach der Kristallflasche mit dem Sherry. Er goss ein Glas
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