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Vollidiot

Vollidiot

Titel: Vollidiot
Autoren: Tommy Jaud
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Buch zurück, denn vor dem Lesen bräuchte ich noch ein Buch, in dem steht, wie man die Energie aufbringt, so ein Buch ganz durchzulesen. Dann habe ich eine tolle Idee. Ich messe die Anzahl der Füße, die ich brauche, um vom Fenster des Wohnzimmers bis zum Balkon in der Küche zu kommen. Ohne Schuhe sind es 37 Fuß. Mit meinen gelben Adidas sind es 41 Fuß. Ich wiederhole die Messung mit allen Schuhen, die ich habe. In meinen Lederschuhen brauche ich nur 39 Fuß, in meinen roten Puma nur 38. Seltsam, wo mir doch alle Schuhe gleich gut passen! Wäre das nicht eine tolle Fernsehshow? Jetzt bei RTL: Miss deine Wohnung! Und gleich im Anschluss: Miss deine Wohnung – Der Talk. Ich sollte Phil anrufen und ihm die Idee verkaufen! Ich gehe zu meinem Schreibtisch und notiere mir die Idee.
    Als es acht Uhr ist, esse ich meine Cornflakes. Diesmal reiße ich die zweite Packung auf, doch auch in dieser ist keine Überraschung. Jetzt reicht es aber wirklich! Wenn die Frühstücksflocken-Mafia denkt, dass das müde Fußvolk sich alles gefallen lässt, dann hat sie sich getäuscht. Ich schalte mein Handy ein, stelle die SMS-Optionen auf »an gesamtes Adressbuch senden« und tippe »ACHTUNG! KEINE ÜBERRASCHUNG!«. Dann klicke ich auf SENDEN und schalte das Handy wieder aus. Ich räume das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine, gehe noch mal auf den Balkon und brülle »Keine Überraschung!« in den Hinterhof. So kann ich noch mehr Menschen vor den üblen Tricks der Flocken-Mafia warnen. Und es könnte ja durchaus sein, dass in irgendeinem der vielen Apartments jemand von Kellogg's wohnt und jetzt ein schlechtes Gewissen bekommt. Mir fällt auf, dass es auf meinem Balkon nach McDonald's riecht. Seltsam, die Filiale ist über hundert Meter weit weg! Wenn ICH was kochen würde, was man hundert Meter weit riecht, dann stünde in zehn Mi-nuten das Gesundheitsamt vor der Tür. Ich gehe wieder ins Warme und mache nichts. Mittags gibt es ein Schlemmerfilet Blattspinat, das exakt so schmeckt wie am Vortag. Den Nachmittag kriege ich rum, indem ich am Fenster stehe und runter auf die Straße schaue. Zwischen 14 Uhr und 14 Uhr 30 laufen 256 Passanten von links an der Bäckerei vorbei. Interessant! Ich hole einen Taschenrechner und rechne hoch, wie viele das an einem Tag wären, indem ich die Zahl mit 48 multipliziere. Ich komme auf 12 288 Passanten, die von links an der Bäckerei vorbeilaufen. Mir ist klar, dass das so natürlich nicht stimmen kann, weil nachts kaum Passanten an der Bäckerei vorbeilaufen, schon gar nicht von links. Ich überlege mir, wie viele es in Wirklichkeit sind. Muss ich 50% abziehen von meinem Ergebnis oder gar 60%? Ich beschließe, der Sache auf den Grund zu gehen. Da ich keine 24 Stunden lang Passanten zählen kann, überlege ich mir, jeweils nur die ersten 30 Minuten einer Stunde zu zählen und die Zahl dann zu verdoppeln. So habe ich eine relativ präzise Hochrechnung der tatsächlichen Passantenzahl, weitaus präziser als Fernsehein-schaltquoten oder Wahlhochrechnungen um 18 Uhr noch was. Also hole ich mir einen Block und einen Stift und warte darauf, dass ich loslegen kann. Ich zähle 312 Passanten zwischen drei und halb vier, 367 zwischen vier und halb fünf und so weiter.
    Weil ich so viel arbeite, kann ich natürlich nicht mehr einfach essen, wann ich will. Ich muss umdisponieren, muss flexibel sein und unheimlich spontan. Das erwarte ich von mir. Also heize ich den Ofen für meine Pizza kurz vor der Sechs-Uhr-Schicht vor, schiebe die Pizza um genau 18 Uhr 30 in den Ofen (277 Passanten) und esse sie um Viertel vor sieben. So bin ich um Punkt sieben bereit für die nächste Schicht. Am Abend trinke ich in den Halbstundenpausen jeweils ein kleines Glas Wein und male mit einem dicken Edding eine xy-Achse auf meine weiße Wohnzimmerwand. So kann man auch graphisch exakt sehen, was die nackten Zahlen nicht preisgeben: einen dramatischen Einbruch der Passanten nach Geschäftsschluss! Um halb zehn rutscht die Zahl zum ersten Mal unter 100! Kein Wunder, dass alle Geschäfte um 20 Uhr schließen — es kommt ja ohnehin keiner mehr vorbei. Eine Information, für die der deutsche Einzelhandel sicherlich Millionen zahlen würde. Ich notiere sie neben meiner RTL-Idee. Gegen Mitternacht versuche ich, in meinen Pausen ein wenig zu schlafen. Ich stelle meinen Wecker jeweils auf 5 vor, damit ich zu Schichtbeginn wach bin und weiterzählen kann. Aber ich schlafe nicht in den Pausen, ich bin viel zu aufgeregt. Das Klingeln
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