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Vogelwild

Vogelwild

Titel: Vogelwild
Autoren: Richard Auer
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alte
Zeitung, die nun, nicht mehr festgeklemmt, zu Boden rutschte. Morgenstern
beugte sich hinab und fummelte das Papier hervor. Es handelte sich um die
türkische Allerweltszeitung »Hürriyet«, die »Bild-Zeitung« vom Bosporus.
    »›12. April 2003‹«, las er auf dem Titelblatt,
Altpapier. Schade. Achtlos ließ er das Blatt zu Boden fallen.
    Doch schon in der nächsten Sekunde kniete er wieder
auf der blanken Erde neben der Zeitung und sammelte auf, was zwischen den
Seiten herausgerutscht war: mehrere Polaroidfotos. Die Bilder waren
abgegriffen, die Farben längst nicht mehr so strahlend wie im ehemaligen
Originalzustand. Der Lauf der Zeit hatte sie ins Türkisblaue changieren lassen.
Obwohl die Aufnahmen auch nicht richtig scharf waren, konnte man doch sehen,
worum es sich hier handelte. Um das zu erkennen, musste man noch nicht mal im
Altmühltal geboren sein! Die Bilder zeigten allesamt versteinerte Urzeittiere.
Fossilien. Auf einem Foto war eine Kalkplatte zu sehen, von der sich deutlich
ein kugelförmiger Fisch mit markanten Schuppen abhob. Zur Dokumentation hatte
der Fotograf auf den Stein einen Zollstock gelegt. Das Tier mochte gut und
gerne einen halben Meter lang sein. Ein zweites Motiv zeigte ein Insekt mit
großen, weit aufgespannten Flügeln, ebenfalls in Stein erstarrt. Vielleicht
eine Art Libelle, mutmaßte Morgenstern, aber dafür war das Tier ganz schön groß
geraten, denn der Meterstab zeigte als Länge zwanzig Zentimeter an.
    »Mike, wo bist du?«, hörte Morgenstern plötzlich
Inspektionsleiter Huber von draußen rufen. Hastig ließ er die Fotos in die
Gesäßtasche seiner Uniformhose gleiten. Eine Tasche trug er nicht bei sich, und
es musste ja nicht gleich jeder sehen, dass er »rumgeschnüffelt« hatte. Dass
seine Vorsichtsmaßnahme nicht übertrieben gewesen war, merkte er, als er durch
das quietschende Stadeltor wieder ins grelle Sonnenlicht hinaustrat und
feststellte, dass sich draußen inzwischen auch mehrere türkische Arbeiter
eingefunden hatten. Neben dem Schuppen standen nun Kollegen, Freunde,
vielleicht auch Angehörige des Toten und unterhielten sich lautstark.
    Huber winkte Morgenstern zu sich: »Ich glaube, du
kannst jetzt nach Hause fahren, und wir setzen uns dann morgen in Verbindung.
Ich bleibe noch hier und warte, was der Staatsanwalt zu allem meint. Die
Kollegen nehmen mich später mit runter in die Stadt. Aber falls hier
tatsächlich ausführlicher ermittelt werden muss, dann wäre es mir am liebsten,
wenn du die Sache in die Hand nimmst.«
    »Ich? Als Neuling aus Nürnberg?« Morgenstern war
erstaunt.
    »Warum denn nicht? Schließlich wohnst du gleich um die
Ecke, und wir können unkompliziert Kontakt halten. Hinzu kommt, dass du nicht
auf den Kopf gefallen bist.« Huber zögerte kurz, dann fügte er grinsend hinzu:
»Außerdem sollte es sich lohnen, dass ich dir Unterricht in Heimat-und
Sachkunde gegeben habe. Hoffentlich hast du dir auch alles gemerkt.«
    Es
war schon sechzehn Uhr, als Morgenstern endlich nach Hause kam. Das war nicht
gut, gar nicht gut. Er hatte schlicht und einfach vergessen, sich bei seiner
Frau abzumelden. Das Letzte, was er mit Fiona vereinbart hatte, war, dass er
zum Mittagessen daheim sein würde, doch der Frühschoppen und vor allem der
unerwartete Einsatz in dem Steinbruch hatten ihm einen Strich durch seinen
Zeitplan gemacht. Sein Handy hatte er selber in der Diele liegen gelassen.
Inspektionsleiter Huber, richtig, der hatte eins dabeigehabt. Möglichkeiten zum
Benachrichtigen seiner Familie hatte es also gegeben, aber Morgenstern hatte es
schlichtweg verschusselt.
    Als auf sein Klingeln hin niemand öffnete, wurde dem
Ermittler schlagartig klar, dass Fiona mit den Kindern ausgeflogen sein musste.
Nervös lief er die Treppe hinauf. Üblicherweise lag in solchen Fällen auf dem
Küchentisch ein Zettel mit einer kurzen Nachricht. Richtig, da war ja ein
abgerissenes Stück Zeitung. Mit blauem Kugelschreiber hatte Fiona eilig eine
Botschaft hingekritzelt: »Wir sind auf unserer Radtour! Hoffentlich kümmert
sich unser Superkatholik ums Abendessen. Fiona. P.S .:
Du hättest wenigstens anrufen können.« Das Wort »unserer« vor »Radtour« war
drei Mal rot unterstrichen worden.
    Verdammt: Auch das hatte er komplett vergessen. Wütend
schlug sich Morgenstern mit der flachen Hand auf die Stirn. »Ich bescheuerter
Idiot!« Seit Wochen war klar gewesen, dass es an diesem Feiertag gemeinsam mit
den Fahrrädern altmühlaufwärts nach Pappenheim gehen
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