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Viviane Élisabeth Fauville

Viviane Élisabeth Fauville

Titel: Viviane Élisabeth Fauville
Autoren: Julia Deck
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bei mir.
    Yul wirft einen Blick auf den Zettel, notiert zwei oder drei Wörter, wahrscheinlich die Namen der Mittel, und gibt ihn ihr zurück. Viviane dreht sich der Magen um. Es ist das Rezept, das ihr der Arzt gestern ausgestellt hat, das Datum steht oben rechts. Ihre Finger zittern, als sie es in ihre Handtasche steckt, aber Yul hat anderes im Kopf. Sie scheint Yul nicht besonders zu interessieren, aber wie soll sie ihm das übelnehmen? Sie sieht sehr wohl, dass sich bei diesem Verhör das Profil einer vollkommen banalen zukünftigen Geschiedenen abzeichnet: Auf diesem trübsinnigen Gelände gedeihen nicht die mörderischen Keime, die Totschlaggräser.
    Aber sagen Sie mal, liebe Frau Hermant, warum haben Sie den Arzt gestern um 10 Uhr 38 angerufen?
    Denk nach, Viviane, denk nach. Sag etwas, irgendetwas, alles ist besser als diese schuldige Stille. Also ja, sagt sie endlich, ich hatte einen Schwächeanfall. Er hat mir kurzfristig einen Termin gegeben um 18 Uhr 30, aber ich konnte nicht hingehen, ich habe niemanden gefunden, der auf meine Tochter aufgepasst hätte, Sie brauchen bloß meine Mutter zu fragen.
    Und das konnten Sie mir nicht früher sagen?
    Ich habe gedacht, verteidigt sich Viviane, wobei sie wieder zu weinen beginnt, das würde verdächtig wirken, dabei wissen Sie doch genau, dass ich nichts damit zu tun habe, und der Inspektor verkneift sich ein Nicken, so uninteressant findet er sie als Verdächtige.
    Dann unterbricht das Telefon die Unterredung, und Philippot lauscht hochkonzentriert seinem Gesprächspartner. Das dauert einige Minuten, er äußert sich wenig, während man ihm auf der anderen Seite der Leitung neue Gegebenheiten der Sachlage zu schildern scheint. Schließlich hängt er ein und sagt Gut, für heute lassen wir’s dabei.
    Ich bin frei? fragt Viviane erstaunt.
    So ist es, Sie sind frei, antwortet Yul, indem er sie zum Ausgang zurückbegleitet und dabei den Blickkontakt mit den vor Dankbarkeit überfließenden Augen der Mutter und den zurückhaltenderen des Kindes zu beschränken versucht. Sie hätten es so lange schon irgendwo unterbringen können, sagt er ein wenig freundlicher.

5
    Der Artikel, der am nächsten Tag, Mittwoch den 18. November, im
Parisien
erscheint, wirft alle möglichen Probleme auf. Der Zeitung zufolge wurde die Leiche des Arztes erst am Morgen nach seinem Tod gefunden, und das weder von einem Patienten noch von seiner Gattin, sondern von einer rothaarigen und grünäugigen, zudem schrecklich schwangeren Person, die aus L’Argentière-La Bessée im Département Hautes-Alpes stammt, und bei der man sich allerdings fragt, was sie da um 6 Uhr 30 machte. Dann war es nicht ganz leicht gewesen, Madame Sergent ausfindig zu machen. Obwohl offiziell bei ihrem Mann in einer komfortablen Wohnung in der Rue du Pot-de-Fer gemeldet, soll sie ihre Nächte in der Rue du Roi-de-Sicile verbringen, und zwar in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, die einem gewissen Silverio Da Silva gehört. Und letzterer, ein Psychoanalytiker, der aber nicht Psychiater ist, noch überhaupt Arzt, der noch nicht einmal ein Psychologie-Staatsdiplom vorzuweisen hat, kurz, ein einfacher weltlicher Analytiker, der seinen Titel der bereitwilligen Anerkennung seiner Kollegen verdankt, hat nicht abgestritten, der Geliebte der Witwe zu sein. Er hat sich nicht einschüchtern lassen, als die Ermittler ihn im Ton kleiner Beamter gefragt haben, ob es ihn nicht störe, die Frau eines anderen auszuborgen, hat geltend gemacht, der Mensch sei nicht auf die Gesetze der bürgerlichen Gesellschaft zu reduzieren, oder vielmehr, er genieße es, gelegentlich, dagegen zu verstoßen. Aber sicher doch, haben die Beamten geantwortet und ihn über Nacht eingebuchtet. »Liebe: Sie achten immer weniger auf Ihr Aussehen. Erfolg: Vermeiden Sie Entscheidungen, die sich auf Ihre Zukunft auswirken könnten. Gesundheit: Allergien.«
    Viviane nimmt einen letzten Schluck aus ihrer Tasse an der Theke des Cafés in der Rue Louis-Blanc, wo sie allmählich Stammkundin wird. Sie trinkt dort einen Kaffee, bis es Zeit ist, ihre Tochter abzuholen. Die anderen Mütter, hört man, sind überlastet, überglücklich, ihre Kinder gegen ein oder zwei Stunden Freiheit tauschen zu können, und Viviane denkt Wozu denn das, es gibt nicht genug amtliche Angelegenheiten zu erledigen, um ein ganzes Leben auszufüllen, kein Friseur hat
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