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Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Titel: Virtuosity - Liebe um jeden Preis
Autoren: Jessica Martinez
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unvermittelt eine Kehrtwende und marschierte in die Richtung, die am wenigsten wahrscheinlich war. Direkt auf mich zu. Ich hatte damit gerechnet, dass er den Parkplatz und die Wabash Avenue zur Hochbahn-Station überqueren würde. Stattdessen ging er jetzt an der Seite des CSO-Gebäudes entlang, überquerte die verfallenen Parkplätze und kam auf das Rhapsody zu. Dabei pfiff er vor sich hin und die Finger seiner rechten Hand fuhren über den roten Backstein einer Hauswand. Große, langsame Schritte brachten ihn immer näher zu mir. Ich saß wie versteinert da, von seinen geschmeidigen Bewegungen wie hypnotisiert.
    Warum sah ich nicht einfach weg? Ich könnte so tun, als wäre mir etwas vom Tisch gefallen oder zumindest mit gesenktem Kopf in meiner Tasche wühlen. Aber nein, ich starrte ihn die ganze Zeit an.
    Und dann sah er mich. Wie zwei Magnete hefteten sich seineAugen auf mich. Sein Gesichtsausdruck war gleichgültig, als fiele sein Blick rein zufällig auf einen Fremden, dem er in einem Aufzug oder auf dem Bürgersteig begegnete.
    Solange sein Gesicht ausdruckslos war, hätte ich immer noch wegsehen können, ehe es geschah. Aber ich war zu benommen. Das also war Jeremy King.
    Und dann änderte sich seine Miene. Die Augen verengten sich und der Mund dehnte sich zu einem überheblichen Grinsen.
    Reflexartig riss ich meinen Kopf nach unten und meine Hand schnellte nach oben, um mein Gesicht zu verstecken.
    »Was machst du denn da?«, zischte Heidi.
    Ich hatte ganz vergessen, dass sie auch noch am Tisch saß. »Gar nichts. Weiß ich nicht.« Gute Frage! »Ich will nicht, dass er mich sieht.«
    »Zu spät, Einstein«, höhnte sie.
    »Sieht er mich immer noch an?«
    »Ja. Und nur, weil du ihn nicht sehen kannst, heißt das noch lange nicht, dass er dich nicht sieht. Nimm die Hand runter.«
    »Aber dann weiß er, dass ich ihm nachspioniere.«
    »Glaub mir, das weiß er auch so.«
    Sie reckte sich über den Tisch, nahm mein Handgelenk und drückte meine Hand in den Schoß. Ich zwang mich aufzusehen.
    Er starrte mich immer noch an, nicht mehr als ein paar Meter entfernt, aber sein Grinsen hatte sich in eine spöttische Grimasse verwandelt. Und als er so dicht an mir vorbeikam, dass ich ihn hätte festhalten können, hob er den Arm und grüßte mich mit einem zackigen Salut.
    Ich tat nichts.
    Er ging vorbei und war dann fort.
    Heidi und ich saßen stumm da. Mein Magen hob sich und ich hatte Angst, die paar Bissen des Zitronenküchleins könnten wieder hochkommen. Wieso hatte ich meine Medikamente nicht mitgenommen? Ich hätte wissen müssen, dass ich sie brauchen würde.
    Heidi fasste sich zuerst. »Wow.«
    Ich hörte, wie ich aufstöhnte.
    »Das war schlimm«, fügte sie hinzu.
    »Wie konnte das bloß passieren? Wie hat er mich überhaupt sehen können? Wie kommt es, dass er mich erkannt hat?«
    Heidi schüttelte den Kopf. »Wirklich, Carmen? Ich meine, es war zwar Pech, dass er ausgerechnet hier vorbeigekommen ist, aber dass er dich erkannt hat, ist nun wirklich kein Wunder.«
    »Aber er hat mich doch noch nie gesehen!«
    »Vielleicht nicht offiziell.«
    »Nein, überhaupt nicht«, beharrte ich.
    »Ich könnte in jeden Musikladen im Land gehen – wahrscheinlich sogar auf der ganzen Welt – und einen Stapel CDs mit deinem Gesicht auf dem Cover zusammensuchen. Muss ich dich erst daran erinnern, dass du letztes Jahr einen Grammy gewonnen hast? Natürlich weiß er, wie du aussiehst.«
    Ich konnte sie kaum hören. Mein Herzschlag dröhnte wie Donner in den Ohren.
    »Überleg doch mal«, fuhr sie fort. »Du hast Angst vor ihm. Wahrscheinlich hat er genauso viel Angst vor dir.«
    Ich ließ den Kopf auf den Tisch sinken und schloss die Augen. Ich brauchte eine Inderal. Warum hatte ich die Tabletten nicht in meine Tasche gesteckt? »Ich habe keine Angst.«
    Auf der anderen Straßenseite schoss die Hochbahn an uns vorbei, sodass der Tisch unter meiner Wange vibrierte. Selbst mit geschlossenen Augen fühlte ich, dass Heidi mich anstarrte, dass ihre Härte zu Besorgnis dahinschmolz.
    »Es ist doch bloß ein Wettbewerb, Carmen«, sagte sie sanft.
    Aber es war nicht bloß ein Wettbewerb. Heidi konnte es nicht verstehen und ich erwartete es auch nicht von ihr. Ich erwartete von niemandem, dass er es verstand. Ich hatte nicht bloß Angst vor Jeremy King. Ich dachte ständig an ihn, googelte seinen Namen, las alle Kritiken, hörte seine CDs an und studierte das blöde veralteteFoto im Carnegie-Hall-Programm. Ich übte nicht und
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