Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Versuch über die Müdigkeit

Versuch über die Müdigkeit

Titel: Versuch über die Müdigkeit
Autoren: Peter Handke
Vom Netzwerk:
sich, ebenso wie das verdammte Gegenüber, auf der Stelle ab- oder weggeschafft; sogar die Dinge um einen fielen auseinander zu Nichtsnutzigkeiten (»wie müde und verwohnt der Schnellzug vorbeiweht« – Erinnerung an die Gedichtzeile eines Freunds): Jene Paares-Müdigkeiten hatten die Gefahr, auszugreifen als Lebensmüdigkeit, über einen allein hinaus auch des Universums, des schlappen Laubs in den Bäumen, des jäh wie lahm fließenden Flusses, des ausbleichenden Himmels. – Da derartiges aber immer nur geschah, wenn Frau und Mann miteinander allein waren, vermied ich mit den Jahren all die längerdauernden »Unter-vier-Augen«-Situationen (was auch keine Lösung war, oder eine feige).
    Jetzt ist es Zeit für eine ganz andere Frage: Erzählst du von den zu fürchtenden, bösartigen Müdigkeiten denn nicht nur aus Pflichtbewußtsein – weil sie zu deinem Thema gehören –, und darum auch so, wie mir vorkommt, schwerfällig, langwierig, bei aller Übertreibung – die Geschichte von der gewalttätigen Müdigkeit war doch übertrieben, wenn nicht erfunden – halbherzig?
    Nicht bloß halbherzig war von den schlimmen Müdigkeiten bisher die Rede, sondern herzlos. (Und das ist kein bloßes Wortspiel, das um seiner selbst willen eine Sache verrät.) Nur betrachte ich die Herzlosigkeit meines Erzählens in diesem Fall nicht als einen Fehler. (Abgesehen davon ist die Müdigkeit nicht mein Thema, sondern mein Problem – ein Vorwurf, dem ich mich aussetze.) Und ich möchte auch für das Weitere, für die nicht-argen, die schöneren und schönsten Müdigkeiten, die mich angestachelt haben zu diesem Versuch, gleich herzlos bleiben: Es soll mir genügen, den Bildern nachzugehen, die ich habe von meinem Problem, mich dann jeweils, wörtlich, ins Bild zu setzen und dieses mit der Sprache, samt seinen Schwingungen und Windungen, zu umzirkeln,möglichst herzlos. Im Bild zu sein (zu sitzen), das genügt mir schon als Gefühl. Wenn ich mir für die Fortsetzung des Versuchs von der Müdigkeit ein Zusätzliches wünschen dürfte, so wäre es eher eine Empfindung: die Empfindung der Sonne und des Frühlingswinds der andalusischen Morgen dieser Märzwochen jetzt draußen in der Steppe vor Linares zwischen den Fingern zu behalten für das Sitzen dann drinnen im Zimmer, damit diese herrliche Empfindung der Finger-Zwischenräume, verstärkt noch durch die Duftschwaden der Schuttkamillen, übergeht auch auf die kommenden Sätze rund um die guten Müdigkeiten; ihnen gerecht wird und sie vor allem leichter macht als die vorangegangenen. Aber ich glaube schon jetzt zu wissen: Die Müdigkeit ist schwer; das Problem der Müdigkeit, in jeder Spielart, wird schwer bleiben. (In die Schwaden der wilden Kamille stößt auch immer wieder, und von Morgen zu Morgen mehr, der allgegenwärtige Aasgeruch; nur will ich dessen Behecheln wie bisher den dafür zuständigen, sich bestens davon nährenden Geiern überlassen.) – Also nun, am neuen Morgen,auf, weiter, mit mehr Luft und Licht zwischen den Zeilen, wie es der Sache entspricht, dabei aber stetig nah am Erdboden, nah beim Schutt zwischen der gelbweißen Kamille, mithilfe des Gleichmaßes der erlebten Bilder. – Es ist nicht ganz wahr, daß ich früher nur Müdigkeiten zum Fürchten kannte. In der Kindheit damals, Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre, war das Dreschen des Getreides mit der Maschine noch ein Ereignis. Es wurde nicht automatisch gleich auf den Feldern abgewickelt – zur einen Seite des Automaten die Ähren hinein, zur andern Seite das Herausfallen der mahlfertigen Säcke –, sondern fand daheim in den Scheunen statt, mit einer Leihmaschine, die in der Dreschzeit von Hof zu Hof ging. Für den Vorgang des Korndreschens wurde eine richtige Kette von Handlangern benötigt, von denen einer jeweils die Garbe von dem im Freien stehenden, für die Scheune viel zu großen und zu hoch beladenen Wagen herunterwarf zum nächsten, der die Garbe, möglichst nicht mit der falschen, der ungriffigen, der Ährenseite voran, weiterreichte zur Hauptperson drinnen an der dröhnenden, die ganzeScheune vibrieren lassenden Maschine, wo die Garbe herumgeschwenkt und an den Ährenspitzen sacht zwischen die Dreschzahnrollen geschoben wurde – großes Prasseln, das da jeweils losbrach –, worauf hinten dann das leere Stroh herausgeschlittert kam und, zum Haufen geworden, vom nächsten Handlanger mit einer sehr langen Holzzinkengabel hinaufgehievt wurde zu den letzten in der Kette, meist den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher