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Verschwörung beim Heurigen

Titel: Verschwörung beim Heurigen
Autoren: dtv
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Rebzeilen zu gehen und sich
     zu freuen, dass im Mai wie immer der Austrieb begann – diese Selbstverständlichkeit und gleichzeitig ein Wunder. So jemandem
     lag auch nichts an den Menschen, denen er mit seinem Wein Freude machte.
    Carl schaute verlegen ins Glas, er schwenkte es, damit der Wein sein Aroma entfalten konnte, und hielt die Nase darüber. »Dazu
     muss man erst einmal die Fähigkeit haben zu unterscheiden, ob man einen Blender vor sich hat oder nicht.«
    »Und was sagt Ihnen Ihr Gefühl, beziehungsweise Ihre Nase? Ist das nun ein Blender?«, fragte der Fremde provozierend. »Glauben
     Sie, dass ein korrekter Winzer auf einer Verkostung wie dieser einen Blender vorstellt?«
    »Nein, eher unwahrscheinlich, Sie haben Recht«, Carl |10| stöhnte. Er wunderte sich über sein radikales Urteil, betrachtete die vielen Tische im Saal, das Gewimmel der Besucher davor
     und die geschäftigen Winzer hinter ihren aufgereihten Flaschen. »Woran haben Sie’s bemerkt, das mit dem Blender?«
    »Das sagt mir meine Nase, beim Wein wie bei den Menschen. Geht Ihnen das nicht auch so? Sie treffen jemanden, stehen ihm gegenüber
     – und auf einmal haben Sie ein komisches Gefühl. Das ist beim Wein nicht anders. Nennen Sie es Erfahrung, nennen Sie es Intuition,
     Instinkt, jeder hat ihn, ich glaube, man wird damit geboren, aber Intellekt und Wissenschaft gewöhnen es uns ab, darauf zu
     vertrauen.« Jetzt steckte der Unbekannte seine Nase tief ins Glas, atmete ein und lächelte versonnen. »Der Winzer versteht
     sein Geschäft, er ist so gut, dass er eigentlich niemanden verarschen müsste. Der Wein ist hervorragend gemacht, der Mann
     ist ein ausgezeichneter Handwerker, aber der Wein ist und bleibt ein Blender. Es wäre interessant zu wissen, warum der Mann
     lügt, weshalb er andere hinters Licht führt.«
    »Möglicherweise bleibt ihm nichts anderes übrig«, entgegnete Carl und wunderte sich, wieso er ein derart persönliches Gespräch,
     und als solches betrachtete er diese Unterhaltung, mit einem Fremden führte. Mit wem sprach man schon über Ehrlichkeit, über
     Lüge, Wahrheit und Charakter? Carl hatte den Mann vor fünf Minuten zum ersten Mal gesehen, ihn beobachtet, wie er sich diskret
     durch die Menschenmenge im Barocksaal geschoben hatte, ohne irgendwen anzustoßen, was fatale Folgen gehabt hätte, denn fast
     alle, die sich im Haydn-Saal des Schlosses Esterházy drängten, hielten ein zumindest halb gefülltes Weinglas in der Hand.
     Weißweinflecken ließen sich noch rauswaschen, aber Rotwein hinterließ dramatische Spuren auf der Garderobe – dem Gewand –
     wie die Österreicher sagten.
    War es das, was ihm an dem Fremden aufgefallen war, die legere Kleidung? Das zerknautschte Sakko, die verwaschenen |11| Jeans? Und als sie nebeneinander vor dem Tisch desselben Winzers gestanden hatten und sich nacheinander den Chardonnay hatten
     einschenken lassen, waren ihm die feinen, gepflegten Hände aufgefallen, der Ehering. Schon interessant, was man alles an einem
     Menschen entdecken konnte, wenn man nur sein Äußeres genau betrachtete. Raum für unendlich viele Spekulationen   ...
    »Aufdringlich ist er. Mit Chardonnay kann man vieles machen. Tropische Früchte, Birne, Honigmelone, vielleicht – es könnte
     Himbeere sein, ganz unterschiedliche Aromen, der reine Obstladen, sogar Zimt. Alles so deutlich, dass es manchmal aufdringlich
     wirkt. Dieser hier überdeckt etwas, er ist in eine bestimmte Richtung gezogen, fast parfümiert; er will was sein, was er nicht
     ist, verstehen Sie? Ich glaube, es liegt an der Hefe, Reinzuchthefe. Überbetonung, die Eigenschaften stehen für sich allein,
     sind nicht verbunden, kein einheitliches Ganzes. Gleich beim ersten Eindruck ist er opulent, zu wuchtig, aber der Eindruck
     täuscht, er vergeht schnell und macht – tja, wie soll ich sagen – einer gewissen Leere Platz. Der ist spätestens in zwei Jahren
     hin.«
    Jetzt war es an Carl, den Fremden lachend zu fragen: »Wen meinen Sie denn jetzt wieder – den Wein oder den Winzer, der ihn
     gemacht hat?« Ihm gefiel das Gespräch, die Andeutungen, das Vage und zugleich Eindeutige.
    »Ich spreche vom Wein, aber für den Winzer wird das auch gelten. Natürlich nicht das mit den Düften. Möglicherweise nimmt
     er ein zu starkes Rasierwasser und riecht seinen eigenen Wein nicht mehr richtig.«
    »Man müsste wissen, welcher Winzer dafür verantwortlich ist. Dieser Wein hat all das, was einer Harmonie im Wege steht«,
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