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Verruchte Lady

Titel: Verruchte Lady
Autoren: Amanda Quick
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Wahrscheinlich wär’n wir verhungert.«
    Phoebe warf einen Blick auf Gabriel, der den schäbigen Flur mit all den Büchern musterte. Er hatte seinen Hut abgenommen. Als sie ihn anblickte, spürte sie erneut beinahe übermächtig seine Gegenwart. Im dämmrigen Schein der flackernden Kerze stellte sie fest, daß sein Haar noch genauso mitternachtsschwarz war, wie sie es in Erinnerung gehabt hatte. An den Schläfen hatte er ein paar silberne Strähnen. Aber schließlich war er inzwischen auch schon vierunddreißig. Und das Silber war nicht unattraktiv.
    Vor acht Jahren hatte er sehr alt auf sie gewirkt. Jetzt hatte sie den Eindruck, als habe er gerade das richtige Alter. Ihre Finger schlossen sich um eine Falte ihres purpurfarbenen Reitkleides. Sie hob die kleine Schleppe an, um über einen Stapel Bücher zu steigen. Die Freude, die in ihrem Inneren aufwallte, hatte nichts mit dem Manuskript, das sie abholte, zu tun oder damit, daß Gabriel ihr vielleicht bei ihrer Suche nach Neils Mörder helfen würde.
    Sie hatte einzig und allein mit Gabriel zu tun.
    Gütiger Himmel, die Sache wurde wirklich gefährlich. Irgendwelche Gefühlsanwandlungen waren das letzte, was sie im Moment brauchen konnte. Sie mußte einen klaren Kopf behalten und daran denken, daß Gabriel keinen Grund hatte, irgendeine Zuneigung für ein Mitglied ihrer Familie zu empfinden.
    Gabriel hatte das Gesicht halb abgewandt. Er las die Titel auf den Rücken der Bücher, die in wirrem Durcheinander in die Regale gestopft waren. Phoebe starrte auf seinen harten Kiefer und auf seine arrogant geschwungenen Wangenknochen. Aus irgendeinem Grund überraschte es sie, daß er immer noch das Gesicht eines Raubvogels hatte.
    Ihr Magen zog sich nervös zusammen. Sie hatte nicht erwartet, daß die letzten acht Jahre seine grimmigen Züge weicher gemacht hatten. Trotzdem war es beunruhigend zu sehen, daß sie härter und unnachgiebiger als je zuvor waren.
    Als könne er ihre Gedanken lesen, wandte Gabriel plötzlich den Kopf. Er sah sie direkt an, als wolle er sie mit seinen grünen Augen hypnotisieren. Einen schrecklichen Augenblick lang hatte Phoebe den Eindruck, als könne er durch ihren dichten Schleier hindurchsehen. Sie hatte vergessen, was für Augen er hatte.
    Als junges Mädchen hatte sie nicht verstanden, welche Wirkung dieser intensive Blick aus seinen strahlendgrünen Augen hatte. Natürlich hatte sie ihn auch immer nur für kurze Zeit angesehen, wenn er mit all den anderen jungen Leuten der besseren Gesellschaft in das Stadthaus ihres Vaters gekommen war, um ihrer reizenden Schwester Meredith den Hof zu machen.
    Der einzige Mann, der Phoebe interessiert hatte, war Gabriel gewesen. Er hatte sie von Anfang an mit den Büchern und
    Gedichten neugierig gemacht, die er ihrer Schwester gegeben hatte. Gabriel hatte Meredith mit Artussagen statt mit Blumen umworben. Meredith hatte sich für die alten Rittergeschichten nicht interessiert, aber Phoebe hatte sie verschlungen.
    Jedesmal, wenn Gabriel zu Besuch gekommen war, hatte Phoebe ihn von ihrem Versteck oberhalb der Treppe aus beobachtet. In ihrer Naivität hatte sie die Blicke, mit denen er Meredith bedacht hatte, für wunderbar romantisch gehalten.
    Jetzt wurde ihr klar, daß romantisch ein viel zu sanftes und frivoles Wort war, um Gabriels funkelnden Blick zu beschreiben. Kein Wunder, daß ihre Schwester sich vor ihm gefürchtet hatte. Meredith verfügte zwar über einen scharfen Verstand, aber sie war damals ein freundliches, schüchternes Geschöpf gewesen.
    Zum ersten Mal, seit sie den leichtsinnigen Versuch gestartet hatte, Gabriel dazu zu bringen, ihr zu helfen, hatte Phoebe das Gefühl, die Herausforderung sei vielleicht doch zu groß für sie. Er hatte recht. Er war kein Mann, mit dem eine intelligente Frau spielen konnte. Vielleicht würde ihr Plan überhaupt nicht funktionieren. Sie schickte ein stummes Dankgebet gen Himmel, daß er sie unter ihrem dichten Schleier noch nicht erkannt hatte.
    »Stimmt etwas nicht?« fragte Gabriel leise. Sein Blick glitt über ihr leuchtendes, purpurfarbenes Kleid. Er wirkte amüsiert.
    »Nein. Alles in Ordnung.« Phoebe reckte das Kinn, als sie sich von ihm abwandte, um der Haushälterin zu folgen. Was machte es schon, wenn das Purpur ihres Kleides vielleicht etwas zu grell war? Ihr war durchaus bewußt, daß ihr Geschmack nicht gerade von vielen geteilt wurde. Ihre Mutter und ihre Schwester machten ihr immer Vorwürfe wegen ihrer Liebe zu allzu »flammenden
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