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Verlorene Seelen

Verlorene Seelen

Titel: Verlorene Seelen
Autoren: Nora Roberts
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einfiel, wenn sie Dr. F. R. Füller sah. Gleich danach kam langweilig. Sein bei Brooks Brothers gekaufter Anzug war perlgrau, ein Farbton, der sich in seiner gestreiften Krawatte ebenso wiederholte wie das Schweinchenrosa seines Oberhemds. Sein Haar war perfekt und konservativ geschnitten. Sie gab sich große Mühe, ihr Lächeln beizubehalten. Es war schließlich nicht Franks Schuld, daß sie sich nicht für Perfektion erwärmen konnte.
    »Ich hatte viel zu tun.«
    »Du kennst doch bestimmt das Sprichwort über Arbeit, Tess.«
    Sie biß die Zähne zusammen, um nicht zu sagen: Nein, wie lautet es denn? Dann würde er lachen und eine Platitüde zum besten geben. »Mit dem Risiko muß ich leben.«
    Sie drückte auf den Abwärts-Knopf und hoffte, daß der Fahrstuhl rasch kommen würde.
    »Aber heute gehst du früher nach Hause.«
    »Ein Außentermin.« Demonstrativ blickte sie auf die Uhr. Sie hatte noch Zeit. »Bin ein bißchen spät dran«, log sie ohne Skrupel.
    »Ich versuche schon seit einiger Zeit, mich mit dir in Verbindung zu setzen.« Mit der Handfläche gegen die Wand gelehnt, stand er über sie gebeugt da. Eine weitere 26
    seiner Angewohnheiten, die Tess widerwärtig fand. »Man sollte annehmen, daß das kein Problem sein dürfte, da unsere Büros ja nebeneinander liegen.«
    Wo, zum Teufel, blieb bloß der Fahrstuhl? »Du weißt ja, wie das ist, wenn man einen vollen Terminkalender hat, Frank.«
    »Aber sicher weiß ich das.« Er ließ sein
    Zahnpastalächeln sehen, und sie fragte sich, ob er annahm, daß sein Rasierwasser sie antörne. »Ab und an müssen wir jedoch alle mal entspannen, stimmt’s, Frau Doktor?«
    »Jeder auf seine Weise.«
    »Ich habe Karten für das Stück von Noel Coward, das morgen abend im Kennedy Center gegeben wird. Warum entspannen wir uns nicht zusammen?«
    Beim letzten und einzigen Mal, als sie eingewilligt hatte, sich mit ihm zu entspannen, war sie gerade noch davongekommen, ohne daß er ihr die Kleider vom Leib gerissen hatte. Und was noch schlimmer war: Bevor es zum Gerangel kam, hatte sie sich drei Stunden lang fast zu Tode gelangweilt. »Nett von dir, an mich zu denken, Frank.« Erneut log sie, ohne zu zögern. »Aber leider bin ich morgen abend schon vergeben.«
    »Warum können wir uns nicht …«
    Die Fahrstuhltür öffnete sich. »Huch, ich komme ja zu spät.« Nachdem sie ihm ein freundliches Lächeln geschenkt hatte, trat sie in die Kabine. »Arbeite nicht zuviel, Frank. Du kennst doch das Sprichwort.«
    Infolge des prasselnden Regens und des starken Verkehrs ging fast ihre gesamte überschüssige Zeit für die Fahrt zum Revier drauf. Seltsamerweise verdarb ihr die halbe Stunde, die sie im Verkehrsgewühl steckte, nicht die Laune. Vielleicht lag es daran, daß sie Frank so elegant abgeschmettert hatte. Wenn sie es übers Herz gebracht 27
    hätte – was nicht der Fall war –, hätte sie ihm einfach gesagt, daß sie ihn für einen Blödmann hielt. Damit wäre die Sache dann erledigt. Sofern er sie nicht allzusehr in die Enge trieb, würde sie jedoch weiterhin mit Takt und Ausreden arbeiten.
    Sie langte neben sich, ergriff einen Filzhut und stopfte ihre Haare darunter, als sie ihn aufsetzte. Sie warf einen Blick in den Rückspiegel und rümpfte die Nase. Sinnlos, jetzt an sich herumzumachen. Das wäre bei dem Regen nur Zeitverschwendung. Doch im Gebäude würde es sicher eine Damentoilette geben, wo sie sich ein bißchen herrichten konnte, um dann würdevoll und profihaft aufzutreten. Im Moment würde sie einfach naß aussehen.
    Tess öffnete die Tür des Autos, hielt ihren Hut mit einer Hand fest und rannte auf das Gebäude zu.
    »Sieh doch mal«, sagte Ben zu seinem Partner, als sie die Stufen zur Polizeizentrale hinaufschritten. Ohne auf den Regen zu achten, blieben sie stehen und sahen zu, wie Tess über die Pfützen sprang.
    »Hübsche Beine«, kommentierte Ed.
    »Will ich meinen. Besser als die von Lowenstein.«
    »Schon möglich.« Ed dachte kurz darüber nach. »Läßt sich bei dem Regen schwer feststellen.«
    Mit gesenktem Kopf rannte Tess die Stufen hoch und stieß mit Ben zusammen. Er hörte sie fluchen, als er sie bei den Schultern packte und weit genug zurückwich, um ihr Gesicht sehen zu können.
    Es war ein Gesicht, für das es sich lohnte, naß zu werden.
    Elegant. Obwohl der Regen über ihr Gesicht strömte, fiel Ben sofort das Wort Eleganz ein. Die Wangenknochen waren stark ausgeprägt und setzten so weit oben an, daß er 28
    an Wikingermädchen denken
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