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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch
Autoren: Christine Lehmann
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den Pfeilern ab in den Durch gang zum Stadtpark. Ehe ich fragen konnte, was sie dort woll te, lachte sie auf und rannte los. Ich hinterher. Sie sprang die Stufen zum Eckensee hinab, der eigenartig mehlig schimmer te. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich, dass er zugefroren war. Nur an den Uferstufen des Teichs war eine Stelle eisfrei, in der Dutzende von Enten dösten.
    Marie schlitterte bremsend über die Platten, drehte sich um und breitete die Arme aus. Die alten Parkbäume, der Glaswürfel des Landtags, die Freitreppe und die mit Säulen bestückte Fassade der Oper wuchteten feierlich in die Nacht. In der Kulisse stand sie auf langen schwankenden Beinen, mit flackernder roter Jacke, wehenden Haaren und dem kecken Hütchen auf dem Scheitel. Ich fiel ihr förmlich in die Arme.
    Sie fing mich auf und lächelte. »Hast du das nicht gewusst?«, sagte sie. »Was bist du nur für ein Dummkopf.«
    »Ich bin eben ein Idiot«, räumte ich bereitwillig ein.
    Und ich war es. Denn irgendwas hatte sie in der Hand, mit der sie vorgab, mich streicheln zu wollen. Etwas, das zischte und wie ein eisiger Hauch in meinen Rachen fuhr. Einmal, zweimal. Dann hatte ich mich losgeboxt. Die vereiste Teichfläche sprang mich an. Im nächsten Moment fühlte ich glatten Stein unter meinen Händen. Die Perspektive hatte sich fatal verändert.
    Marie beugte sich herab. Sie zeigte mir das kleine Sprayfläschchen Nitrolingual. Nitroglyzerin hat einen Siedepunkt von 180 Grad und zerfällt erst dann. Das wusste ich inzwischen. Es eignete sich durchaus für heißen Kaffee. Die Symptome waren genau die gleichen wie am Sonntag, als ich in der Redaktion umkippte. Mein Herz krampfte.
    Krk war mit seinen K.-o.-Tropfen so dicht dran gewesen. Und ich hatte ihn völlig falsch verstanden.
    Zu einem »Warum?« reichte es noch. »Warum? Marie?«
    »Ich bin Magdalena Titten. Ich habe vor drei Jahren meine juristische Laufbahn aufgegeben und meinen Namen Maria Magdalena Titten in Marie Trittan ändern lassen. Ich hatte die Schnauze gestrichen voll von den dummen Witzen meiner männlichen Kollegen.«
    Der grässliche Krankenhaustraum fiel mir wieder ein. Die Studentin, die dem jungen Burschen die Akne aussaugte. Und dann die Sprengung mit Nitroglyzerin. Dazu der Satz aus Louises Dossier: »Hochintelligente Studentin kopiert Don Juan, verführt minder intelligente Heranwachsende ohne sexuelle Erfahrungen und lässt sie dann sitzen. Bis einer rabiat wird.« Ich hatte es gewusst. Vor allem hatte Louise es gewusst.
    Aus der Ferne drang Maries Stimme zu mir.
    »Es stimmt. Uwe hat nicht akzeptiert, dass ich nichts mehr von ihm wissen wollte. Er hat dann versucht, mich zu vergewaltigen. Nein, das stimmt nicht ganz. Er hat mich vergewaltigt. Er hatte ein Messer. Und mein Motorradrocker war wieder mal auf Reisen. Fast hätte Uwe mich getötet. Wie ich aus meiner Wohnung lebendig rausgekommen bin, weiß ich bis heute nicht. Das mit den Sprays habe ich erst später entdeckt. Von wegen Tränengas. Haarspray ist ungefähr so wirkungsvoll, wenn dich einer angreift. Und du kommst noch selber weg, ohne dass dir die Augen tränen. Erst hatte ich Panik. Aber die Polizei? Du weißt ja, wie das ist. Die glauben einem nur, wenn man tot ist. Mir war sofort klar: Uwe durfte meine Spur nie wiederfinden. Aber dann bin ich ihm vor zwei Jahren kurz vor Weihnachten an der Johanneskirche über den Weg gelaufen. Erst dachte ich, er hätte mich nicht erkannt. Doch irgendwie hat er dann herausbekommen, wo ich arbeitete. Ich traf ihn ein Vierteljahr später vor der Redaktion in der Eberhardstraße, und letztes Jahr im März stand er vor meinem Haus. Ich sah ihm in die Augen und er mir.«
    Ak bedeutete Augenkontakt, blitzte es durch mein gestresstes Gehirn. Das Schwarzbuch gehörte Marie. Krk hatte wieder Recht gehabt. Der Mörder hatte es verloren. Die Polizei hatte es für das Buch Uwes gehalten, nachdem Gabi bestritten hat te, dass es ihr gehörte.
    »Und als ich dann sonntags im Wald spazieren ging«, fuhr Marie fort, »sprach er mich an. Er liebe mich noch und ich solle ihm verzeihen. Verzeihen! Diese Ratte folgte mir überallhin. Und dann habe ich mich mit ihm verabredet, dort, wo wir uns zum ersten Mal wieder begegnet waren, an der Johanneskirche.«
    Der Schweiß gefror auf meinem Körper. Dennoch war mir so heiß, dass ich mir, wenn ich es gekonnt hätte, die Kleider vom Leib gerissen hätte. Marie, die schöne Marie ging zu mir in die Hocke. Sie hatte harte knöcherne Hände, mit
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