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Titel: Verblendung
Autoren: Stieg Larsson
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schlucken, die ihm sein Arzt verschrieben hatte. Danach bestellte er die Auftraggeber unverzüglich zu einem unangenehmen Gespräch ein. Schließlich sah er sich - trotz ihres spontanen Protests - gezwungen, das ganze Material der Polizei zu übergeben. Was wiederum bedeutete, dass Milton Security riskierte, in einen einzigen Zirkus von Anklagen und Gegenanklagen verwickelt zu werden. Falls das Beweismaterial des Berichts nicht stichhaltig war oder der Mann freigesprochen wurde, konnte das Unternehmen durchaus wegen übler Nachrede belangt werden. Es war wirklich ein Elend.
     
    Dabei war es nicht einmal Lisbeth Salanders bemerkenswerter Mangel an Emotionen, der ihn am meisten störte. Es ging ums Image. Miltons Image war konservative Stabilität. Salander passte in dieses Bild ungefähr so gut wie ein Schaufelbagger in eine Bootsausstellung.
    Armanskij konnte sich nur schwer mit dem Gedanken versöhnen, dass seine Star-Ermittlerin ein bleiches, anorektisch mageres Mädchen war, das stoppelkurzes Haar und Piercings in Nase und Augenbrauen hatte. Auf ihren Hals war eine zwei Zentimeter große Wespe tätowiert, und um den Bizeps des linken Armes sowie um einen Knöchel wand sich je ein weiteres Tattoo. Als sie einmal ein Top trug, hatte Armanskij außerdem feststellen können, dass ihr Schulterblatt noch ein größeres Tattoo in Gestalt eines Drachen zierte. Sie war eigentlich rothaarig, hatte ihr Haar jedoch pechschwarz gefärbt. Sie sah aus, als wäre sie gerade nach einer einwöchigen Orgie mit einer Hardrockgang aufgewacht.
    Sie hatte - da war sich Armanskij ganz sicher - keine richtigen Essstörungen, vielmehr schien sie ein Fall von Junkfood zu sein. Sie war ganz einfach dünn geboren und hatte diesen leichten Knochenbau, der sie mädchenhaft und feingliedrig aussehen ließ, mit kleinen Händen, schmalen Handgelenken und Brüsten, die man unter ihrer Kleidung kaum ausmachen konnte. Sie war vierundzwanzig, sah aber aus wie vierzehn.
    Sie hatte einen breiten Mund, eine kleine Nase und hohe Wangenknochen, die ihrem Aussehen einen leicht orientalischen Touch verliehen. Ihre Bewegungen waren rasch und spinnenartig, und wenn sie am Computer arbeitete, flogen ihre Finger geradezu manisch über die Tastatur. Ihr Körper war völlig ungeeignet für eine Karriere als Model, doch mit dem richtigen Make-up hätte eine Nahaufnahme ihres ungleichmäßigen Gesichts jedes Werbeplakat zieren können. Unter ihrer Schminke - manchmal trug sie dazu noch einen abstoßenden schwarzen Lippenstift -, ihren Tattoos und den Piercings in Nase und Augenbrauen war sie durchaus anziehend. Auf eine ganz unbegreifliche Art und Weise.
    Dass Lisbeth Salander überhaupt für Dragan Armanskij arbeitete, war an und für sich schon verblüffend. Sie war nicht die Art Frau, mit der Armanskij für gewöhnlich in Kontakt kam, von einem Jobangebot ganz zu schweigen.
    Sie hatte eine Bürostelle als Mädchen für alles gehabt, als Holger Palmgren, ein kurz vor der Pensionierung stehender Rechtsanwalt, der sich um die persönlichen Angelegenheiten des alten J. F. Milton kümmerte, Armanskij plötzlich darauf hinwies, dass Lisbeth Salander ein ziemlich cleveres Mädchen wäre , das nur ein bisschen schwierig im Auftreten sei. Palmgren bat Armanskij, ihr eine Chance zu geben, was dieser ihm widerwillig versprochen hatte. Palmgren gehörte zu der Sorte Mann, die ein Nein als Ansporn betrachten würden, ihre Anstrengungen zu verdoppeln; da war es einfacher, gleich Ja zu sagen. Armanskij wusste, dass Palmgren eine Schwäche für schwierige Jugendliche und ähnlichen Sozialquatsch hatte, aber trotz allem ein gutes Urteilsvermögen besaß.
    Er bereute seinen Entschluss sofort, als er Lisbeth Salander zum ersten Mal begegnete. Sie wirkte nicht nur schwierig - in seinen Augen war sie die Verkörperung dieses Wortes. Sie hatte schulisch auf der ganzen Linie versagt, niemals einen Fuß ins Gymnasium gesetzt und keine Art höherer Bildung genossen.
    Während der ersten Monate hatte sie Vollzeit gearbeitet, na ja, beinahe Vollzeit, jedenfalls war sie hie und da an ihrem Arbeitsplatz aufgetaucht. Sie hatte Kaffee gekocht, die Post geholt und sich um den Kopierer gekümmert. Das Problem war, dass sie sich keinen Deut um normale Bürozeiten oder Arbeitsabläufe scherte.
    Hingegen hatte sie ein großes Talent, die anderen Mitarbeiter vor den Kopf zu stoßen. Sie wurde »das neue Mädchen mit den zwei Gehirnzellen« genannt, »eine fürs Atmen und eine für den aufrechten
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