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Venus

Venus

Titel: Venus
Autoren: Elke Buschheuer
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Verschlafen sammelt sie ihre langen schwarzen Haarsträhnen vorm Gesicht und dreht alle Haare über dem Kopf zusammen, um freie Sicht zu haben. Der Micky-Maus-Schlüpfer liegt neben dem Bett. Kuki blinzelt müde in Richtung Tür.
    Venus steht nun hinter dem Kind, in durchaus feierlicher Stimmung, und legt beide Hände auf seine Schultern. Sie hat nicht den geringsten Zweifel daran, das Richtige zu tun. »Ich habe hier jemanden für dich.« Kuki richtet sich mit einem Ruck auf und starrt den kleinen Jungen an. Sie sieht seine Nase, die scharf werden will, seine zusammengewachsenen Brauen, seine Hamsterzähne,seine aschig-dunkle Haut. Beide spiegeln sich so exakt ineinander, dass Arjuna vom Fenster einen Ausruf des Erstaunens tut. »Das ist Kavi«, sagt Venus feierlich. Kuki hebt die Hände an die Schläfen. Tränen schießen in ihre Augen. Und in Arjunas. Und in Venus’. Nur das Kind weint nicht. Das Kind gähnt. Venus beugt sich zu ihm hinunter und stupst es leicht nach vorne. »Das ist deine Mummy.«
    Sie bleibt noch einen Moment stehen und sieht, wie Kuki das Kind in ihre schlafwarmen Arme schließt. Dann dreht sie sich auf dem Absatz um und geht. Sie hat nicht mehr viel Zeit. Sie muss … sie weiß nicht, was sie muss. Sie fühlt sich, als ob jedes Gefäß, jeder Muskel in ihrem Körper Startposition beziehe. Sie läuft in Maus Zimmer. Es ist leer. Sie klopft an Togas Zimmertür. Keine Antwort. Sie tritt ein. Auch er nicht da. Aber in der Ecke seines Zimmers ein Stapel Zeitungen. Millionenerbe-Mord. Neue Entwicklungen. Steakmessermodel im Park gesichtet. Goldstein-Senior: Rache für meinen Sohn! Er weiß alles. Er wusste von Anfang an alles! Jeder weiß es! Jeder weiß mehr als sie! Sie läuft ins Goldbrokatzimmer und findet niemanden. Sie beginnt, Panik zu entwickeln wie jemand, der sich in einem Labyrinth hoffnungslos verlaufen hat. Maria Magdalena. Sie wird Maria Magdalena fragen. Als auch dort auf ihr Klopfen niemand antwortet, öffnet sie die Tür und sieht ein schlafendes Liebespaar, splitternackt, nicht zugedeckt, ein kleiner komplett behaarter Männerkörper, daneben der gelbbraune, jugendliche, gerade Körper eines Mädchens. Sie knallt die Tür zu, noch verwirrter. Es ist nicht so, dass hier irgendwas nicht stimmt, denkt sie, hier stimmt nichts mehr, hier steht kein Stein mehr auf dem anderen. Was jetzt kommt, liegt für uns auf der Hand: die Vertreibung ausdem Paradies, die Auflösung, das Erwachen, das Ende unserer Sommergeschichte.
    Auf einmal weiß sie, wen sie sprechen will. Benito. Der kennt den Weg. Der ist schon vor langer Zeit aus dem Paradies vertrieben worden. Sie sehnt sich regelrecht nach seinem Sarkasmus, als sie sich seinem Zimmer nähert. Auch hier klopft sie vergeblich. Sie wird ihn wecken müssen, am großen Zeh ziehen, wie es ihr Bringfriede beigebracht hat, möglichst weit weg vom Herzen, um ihn nicht zu verwirren. Sie öffnet die Tür und bleibt auf der Schwelle stehen.
    Er hängt am Heizungsrohr, an einer Wäscheleine.
    Sein Gesicht ist grau.
    Sein Mund ist blau.
    Seine Augen sind offen.
    Auf dem Tisch liegt ein Zettel mit den Worten »Surprise surprise«. Venus hört ein lautes Rauschen und Knacken im Inneren ihres Schädels. Sie kotzt Hindupampe auf die abgetretenen Dielen. Sie hockt. Sie hält sich die Ohren zu. Sie schreit. Mit großem Getöse stürzt die Mauer in ihrem Kopf ein.
Venus
    Verena Palmen ist die einzige Tochter eines schwedischen Diplomaten und einer ungarischen Operettensängerin, welche es lebenslang nicht über die Zweitbesetzung hinausgebracht hat. Sie verfügte, da in New York geboren, zwar über drei Pässe, worum sie andere Kinder beneideten, wurde aber von den Eltern selten mit Zärtlichkeiten bedacht, worum wiederum sie andere Kinder beneidete.
    Verena wuchs konfessionslos auf der westlichen Seitedes Central Parks auf und besuchte eine Elite-Schule für Diplomatenkinder. Sie bekam Ballett- und Gesangsunterricht, und es gab keinen einzigen Moment in ihrer Kindheit und Jugend, in der sie irgendetwas infrage stellte. Im Alter von 13 Jahren wurde das schlaksige hellblonde Kind auf der Straße von einem Model-Scout angesprochen. Der Mädchentyp »Albinohuhn« war im Kommen. Nachdem der Scout, der für eine der weltgrößten Model-Agenturen arbeitete, bei Verenas Eltern vorstellig geworden war, erklärte sich ihre Mutter bereit, sie unter Vertrag nehmen zu lassen und rund um die Uhr zu begleiten.
    Mit 14 lebte Verena ein Leben, das an Leistungsdruck und
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