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Venus

Venus

Titel: Venus
Autoren: Elke Buschheuer
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professionell bewegten. Dass sie seinen traurigen Löwenschopf streicheln. Wie sehr er sich wünscht, nicht ein Kunde zu sein, sondern jemand, der Berührung aus Liebe erfährt, von einem Menschen, der es ebenso genießt, ihm nahe zu sein, von jemandem, der ihn liebt. Bei dem Gedanken an Liebe läuft, von Kuki wohl bemerkt, ein Schauer über Arjunas Leib. Er hebt den Kopf und wendet sein Gesicht dem Kukis zu. Im Augenwinkel sieht er, dass die orange Kerze, die unruhig in einem Glas neben Kuki flackert, Changos Abbild trägt. Das ist ein Zeichen, denkt Arjuna. Wo mein Orisha ist, kann ich nicht falsch sein. Die Kerzenflamme verdoppelt sich in Kukis dunkel umschatteten Augen. Sie ist schwer und üppig wie Baula, aber sie sieht ihn anders an als Baula. Sie sieht ihn an, wie Menschen Menschen ansehen, nicht wie Herren Hunde ansehen oder Sklaven. Ist es das? Ist es die Sklavengeschichte seiner Vatergeneration, die ihn sich Baula unterwerfen ließ? Hat er Masochismus in den Genen? Doch schon im nächsten Moment ist Baula ihm egal. Sie ist verschwunden, gelöscht aus seinem Herzen. Er ist entliebt.Er hat sein Herz entleert, um es wieder füllen zu können. Er sucht nicht mehr Baulas Bild in Kuki, er vergleicht Kuki nicht mehr mit Baula. Er sieht Kuki mit einem neuen zärtlichen Blick, es ist, als sehe er sie erstmals.
    Sie hält inne und erwidert seinen Blick. Sie gibt dem Impuls nach, seine Löwenmähne glatt zu streichen, zu streicheln. »Dreh dich um«, sagt sie leise, und Arjuna hört leise ihre Fußglöckchen läuten, »zieh dein Hemd aus.« Kuki öffnet eine braune bauchige Glasflasche, die den schweren Geruch süßer Kokosmilch verströmt. Dann holt sie den Micky-Maus-Schlüpfer aus der Truhe.
    Auf dem Dach, auf dem Sun Baba nie mehr sitzen und in die Sonne starren wird, finden wir unsere beiden Helden, die Bäuche voller Muffins, Eiscreme, Hindupampe, die Herzen voller … ja was eigentlich? Sehnsucht? In den Wirren dieser dunklen Nacht hätten wir sie fast aus den Augen verloren: eine gefallene Prinzessin und ein Bettelmönch, eine Nichtmörderin und ein Nichtheiliger. Der Mond wirkt immer noch bleich und erschöpft. Die Sterne verblassen wie Sommersprossen im Winter. Aber es ist nicht Winter, es ist Mitternacht, Mittsommernacht, und es ist immer noch unerträglich heiß. Die Skyline ist verschwunden, als hätte sie sich zum Schlafen hingelegt.
    Von der Avenue B klingen Salsaklänge nach oben, Venus wird von einer großen Beklemmung befallen. Hier steht sie, die sich nicht kennt, mit einem Mann, den sie nicht kennt. Sie hat ihn noch nie nackt gesehen, noch nie intim berührt. Sie legen sich zueinander auf die zerschlissene Decke, auf der Sun Baba seine einsamen Nächte verbracht hat. Sie umarmen sich vorsichtig,als seien sie aus Porzellan. Ihre Körper sind feucht, ihre Hände sind feucht. Sie sind allein. Sie und die Nacht. Die Nacht ist wie eine weiche, viel zu warme, schwarze Wolldecke. Die Nacht schützt sie. In ihrem Schutz ziehen sie sich aus und sind trotzdem nicht nackt. Zwischen ihnen und der Nacktheit ist die Nacht. Auch der Mond ist verschwunden, auch über ihn hat sich die dunkle Wolldecke gebreitet. Der Mond ist taktvoll. Taktvoller als wir.
    »Du bist schön«, sagt sie, die ihn nicht sieht.
    »Weil ich dich spiegele«, sagt er, der sie nicht sieht.
    Er streckt die Hand nach ihr aus und berührt unversehens ihre Brust. Sie spürt sein Zittern, er ist hingerissen. Sie ist auch hingerissen, weil er hingerissen ist, weil sie ihn für sich hat, hier auf dem Dach in der Armen der nachtblauen Nacht. Die Zeit der Mysterien ist vorbei. Sie beide sind getragen vom sicheren Gefühl, dass sie niemals mit anderen gemacht haben, was sie nun miteinander machen, mit einer Scheu und Unschuld, die nur aus Liebe geboren wird. Sie tastet nach ihm, nach seiner glatten runden Stirn, seinem stoppeligen herrischen Kinn, ihre harten, von der Küchenarbeit rauen Fingerkuppen berühren seinen Oberkörper, die warme behaarte Brust, den strammen Bauch. Er streichelt ihren Hals, ihre Schulter, ihren Arm, sie genießt die Sanftheit seiner großen weichen Hand.
    Die Wolken sind vorbeigezogen, der Mond wirft sein fahles erschöpftes Licht auf die beiden. Wie träge Schneetiger liegen sie sich gegenüber, hell, gedankenstill, andächtig. Sie berührt sein Gesicht, ihre weiße Hand verschmilzt mit seinem weißen Gesicht, es ist heiß wie das eines Malariakranken. Sie streichelt sein Gesicht, seine heißen Schläfen, seinen dichten
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