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Vater Mond und seine Kinder (German Edition)

Vater Mond und seine Kinder (German Edition)

Titel: Vater Mond und seine Kinder (German Edition)
Autoren: Franziska von Sassen
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machte sie sich auf. Plötzlich entdeckte sie einen winzigen Lichtschein, der durch das hintere Turmfenster flackerte. Hoffnungsvoll flog sie darauf zu. Sie hatte Glück. Es war nur angelehnt und nicht verriegelt. Zögernd, nach allen Seiten sichernd, näherte sie sich der Luke und drückte mit dem Schnabel dagegen. Der Spalt öffnete sich nur so weit, dass sie sich gerade eben hindurch zwängen konnte. „Das wäre geschafft“, murmelte sie. Alsdann hopste sie vom Fensterbrett hinunter und ließ sich auf einer Sessellehne nieder. Ehrfürchtig schaute sie sich um. Vor ihr dehnte sich eine riesengroße, begehbare Bibliothek aus. Bücherregale, die vom Boden bis zur Decke reichten, enthielten Schriften über Heldentaten, Traumdeutungen, alte, längst vergessene Liedersammlungen und Geheimnisse aus aller Welt. Die Bücher, kleine und große, breite und schmale, strömten einen alten und muffigen Geruch aus. Staub aus vielen Jahrhunderten hatte sich auf ihnen niedergelassen. Dicke Teppiche bedeckten den Fußboden und abgewetzte Ledersessel postierten sich vor dem Kamin, in dem noch ein Häufchen Glut lag, die langsam erstarb. Kleine Stummel herunter gebrannter Kerzen flackerten auf dem Kaminsims. Ansonsten war die Bibliothek dunkel. Auf einigen Lesepulten häuften sich aufgeschlagene Bücher, ein Zeichen dafür, dass bis vor kurzem noch jemand darin geblättert hatte.
    Sie flatterte zur Bibliothekstür, die sperrangelweit offenstand. Sie spähte vorsichtig die Wendeltreppe hinab. Niemand war zu sehen. Kein Zauberlehrling und kein Lehrer. Alles war wie ausgestorben. „Wie gern würde ich jetzt das Schloss erkunden.“ Jedoch die Zeit drängte. Leise schloss sie die schwere Eichentür und schob mühsam den eisernen Riegel davor. In der Bibliothek war es so still, dass man das Ticken der Kaminuhr deutlich hörte. Nun konnte sie sich gefahrlos und in aller Ruhe in die Bücher vertiefen.
    „Aber wo beginne ich?“ Ratlos setzte sie sich auf ein Lesepult. Sie hatte keine Idee. Hüpfend näherte sie sich den Bücherregalen und entdeckte vor jedem Bücherbrett ein kleines, beschriftetes Messingtäfelchen. Dort stand zu lesen: „Erdgeschichte“, „Himmelsgestirne“, „Feenreich“ oder „Zwergenwelt“, „Uralte Legenden“ und „Weisheiten aus der Anderwelt.“ Kurz entschlossen entschied sie sich für das Buch der „Himmelsgestirne“, das ausgerechnet auf dem obersten Bücherbrett stand. „Oh je, das könnte schwierig werden.“ Mit großer Anstrengung zog sie eine Rolltreppe zu sich herüber, die vor jeder Bücherwand aufgebaut war. Sprosse für Sprosse hopste sie nach oben und griff nach der geheimen Schrift. „Hilfe, ist das Buch schwer.“ Mühevoll klemmte sie es sich unter den Flügel und stieg tippelig hinab. Behutsam legte sie die wertvolle, alte Schrift auf ein Lesepult und schlug die erste Seite auf. „Hatzi, und noch einmal hatzi“, schniefte sie. Kleine Staubwolken, die sich in den Seiten festgesetzt hatten, flogen auf. Ihr Herz klopfte wie wild, hatte sie jemand gehört? Obwohl sie wusste, dass niemand im Schloss war, legte sie horchend ein Ohr an die Tür. Sicher ist sicher. Es blieb alles ruhig. „Ich muss mich sputen“ wisperte sie. Erneut schlug sie das Buch auf – „ach du liebe Zeit, dazu brauch ich ja mein Monokel und das habe ich in der Eile vergessen.“ Die Buchstaben waren so klein geschrieben, dass man zum Lesen eine Brille benötigte. Offensichtlich konnten die Zauberer die Schriften ohne Lupe auch nicht studieren. Einige lagen verstreut auf den Lesepulten. Rasch ergriff sie eine und führte sie an ihre Augen. Sie las und las, blätterte und blätterte. Das Buch schlug sie so in Bann, dass sie fast vergaß, weshalb sie in der Bibliothek herum stöberte. Schließlich hatte sie das Kapitel „Mondvater“ gefunden. Hastig überflog sie die geweissagten Zeilen. Inständig hoffte sie, dass sie noch genügend Zeit hatte, das Kapitel zu Ende zu lesen. Immer wieder blickte sie nervös über ihre Schulter. Sie hatte das Gefühl, als ob hunderte von Augenpaaren sie überwachten. Ihre Sinne waren aufs Äußerste gespannt. Bei jedem Geräusch, das der Wind im Rauchfang des alten Kamins verursachte, schreckte sie zusammen.
    Ohne sich noch weiter ablenken zu lassen, arbeitete sie sich von Kapitel zu Kapitel vor. Sie war so vertieft in die Lektüre, dass sie das Näherkommen der Zurückkehrenden nicht bemerkte. Dröhnend knallte das Burgtor an die gegenüberliegende Wand. Jaulende Hunde und
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