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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman
Autoren: Iris Kammerer
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Brüllen und erstarrte.
    »Jetzt ist der Augenblick, da sich zeigen wird, ob Lucius Caedicius eine kläffende Töle ist oder ein bissiger Molosser!« Behände sprang er auf sein Pferd und wendete es. »Seid meine Legionen!«, befahl er mit durchdringender Stimme und stieß den Arm in die Luft.
    Augenblicke später schmetterten die Bläser zum Angriff, die Soldaten, die ihre Stiefel längst wieder an den Füßen trugen, trampelten johlend auf der Stelle, drängten sich zu einer dicht geballten Masse, trommelten mit ihren Töpfen, mit
Schwertklingen, mit allem, was sie hatten, auf den Schilden. Thiudgif starrte die Menschenmenge an, die Lärm für ganze Legionen machte.
    Einer der Kundschafter trat dicht neben sie. »Lauf!«, rief er in ihr Ohr. »Lauf so schnell du kannst! Wir rücken ab!«
    Und sie rannte, rannte, ohne nachzudenken, den Weg hinunter, den Pfadfindern nach, die durch den Wald hasteten, gefolgt von einzelnen Berittenen, die wohl die Aufgabe hatten, sie zu bewachen. Als hätten sie einander gerufen, fand sie Amra und Sura in dem Durcheinander und eilte mit ihnen weiter. Angst machte ihre Glieder schwer, als der Lärm hinter ihnen anschwoll, und die Erinnerung an die Gefechte kroch ihr kalt ins Genick. Doch plötzlich hallte Jubel durch den Wald.
    Thiudgif blieb stehen, wandte sich um und horchte auf. Der Wald war erfüllt von Getöse, als rückten Tausende schwer bewaffneter Legionäre an. Sie erinnerte sich daran, dass Caedicius erwähnt hatte, zwei Legionen seien auf dem Weg zu ihnen, ihr Herz schlug schneller bei dem Gedanken, dass Rettung nahe sein könnte. Zum ersten Mal auf ihrem Weg zehrte sie nicht nur von Hoffnung, sondern Zuversicht brach wie ein heller Lichtstrahl in diese Nacht. Tränen rannen über ihre Wangen, während sie dem Krach lauschte, und sie dankte den Geistern des Waldes. Als sie sich Amra zuwandte, die auf sie gewartet hatte, erkannte sie in deren weit geöffneten Augen ein Leuchten, und sogar Sura strahlte.
    Ein Soldat eilte zur Spitze des Heeres, wohl ein Bote, der Befehle überbrachte; im Vorbeilaufen wedelte er mit den Händen, um die Frauen zur Eile anzuhalten. Widerwillig folgte Thiudgif den anderen, ließ sich von Sura bei der Hand nehmen. Sie verstand nicht, warum sie diese Flucht fortsetzten, jetzt, da Verstärkung zur Stelle war. Ihre Beine wurden
schwer und schmerzten, ihr Herz pochte hart, und der Atem brannte in ihrer Kehle, aber sie lief weiter. Weg von dem Jubel, der sich wieder in das Rasseln und Donnern eines schnell marschierenden Heeres verwandelte.
    Nach Hunderten von Schritten, die ihr am Ende zur Qual zu werden drohten, ließ man sie endlich wieder gehen. Sura schien kaum angeschlagen, sondern zog ihre Mutter und Thiudgif weiter hinter den Kundschaftern her, bis ein alter Mann, den Thiudgif kaum erkannt hätte, einer aus ihrem Dorf, sie ansprach und Thiudgif an die Spitze des Zuges bat. Sie hatten das Gebiet um das Dorf ihrer Kindheit erreicht.
    Im ersten grauen Frühlicht schwebten Nebelschwaden zwischen den Baumstämmen. Thiudgif entdeckte einen der Pfade, die sie vom sommerlichen Beerensuchen kannte. Er führte sie an Brombeergestrüpp entlang, folgte einem Bachlauf, an dem sie Wasser fassen konnten, eine schmale Aue voll wildem Grün mit späten Blüten, die gerade begannen, sich dem jungen Tag zu öffnen. Als zerre jemand an einer einzelnen Faser in ihrer Brust, so peinigte sie Heimweh nach dem Dorf, in dem ihr Vater gelebt hatte und wo sie aufgewachsen war. Das Netz von Pfaden wurde dichter, sie bog bald hier ab, bald da, um das Dorf fast gegen ihren Willen zu umgehen. Unversehens bemerkte sie, dass sie die Nähe der Gräber suchte. Der alte Mann, der neben ihr ging, schwieg, obwohl er bemerken musste, dass sie nicht den kürzesten Weg nahm.
    Als der Wald endete, blieb Thiudgif stehen. Vor ihr erstreckten sich Felder und Wiesen, durchschnitten von Hecken, Haselnusssträuchern und Apfelbäumen. Auf einem Hügel, kaum dreihundert Schritte entfernt, thronte das Dorf, umgeben von einer Palisade, die von Giebeln und einzelnen Baumkronen überragt wurde. Ein Hauch rosigen Schimmers
lag auf den Gebäuden, in denen um diese Zeit das Leben hätte erwachen müssen. Es war die Zeit, in der die Frauen den glimmenden Herd mit frischem Holz auflodern ließen, um den Morgenbrei zu kochen. Doch kein Rauchfaden erhob sich in den Himmel, unter dessen hellem Blau Wölkchen von der Farbe der Apfelblüte dahinzogen.
    »Sahsmers war ein mutiger Mann«, flüsterte der Alte
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