Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily
Autoren: Jürgen Saarmann
Vom Netzwerk:
was sagen Sie zu dieser umwerfenden Vernissage?“ Das Blitzlicht zuckte auf. „Sind Sie auch der Meinung, dass wir hier dem Ursprung des menschlichen Menschen, wie Elias das nennt, auf der Spur sind? Könnte die Kombination von archaischer, ja burlesker Demonstration des erotischen Antriebs mit einem demonstrativ zivilisationsmüden Gestus, wi e Adorno das nannte, die Befreiung vom Homo administrativus preußischer Prägung bedeuten?“ – „Und was ist das hier, Mama?“ – „Hm, sieht aus wie ein Schrank. Könnte deiner sein, so unaufgeräumt, wie er ist.“ – „Ich liebe dich, weißt du das?“ – „Klar. Aber komme ich denn auch vor in der Geschichte? Als die Frau, die du liebst?“ – „... und als ich meine Tochter von der Schule abholte, standen doch plötzlich ein paar von diesen dunkelhäutigen Jungs um mein Auto herum. Du mußt dir meinen Schreck vorstellen! Ich fahre ja neuerdings so einen großen Kombi mit acht Zylindern, weil die Kinder immer so viel Zeug mit in die Schule bringen müssen ...“ – „Ja, diese Ausländer machen mir auch Sorgen. Neulich kam Jenny weinend nach Hause ...“ – „Ich würde Ihnen diese Skulptur gerne schenken, Frau Oberbürgermeister, aber Sie wissen ja, wie Künstler sind.“ Der dicke Herr im grauen Dreiteiler schrie plötzlich: „Ich kaufe alles. Alles. Was wollt ihr haben, Jungs?“ Dann brach er unvermittelt in Tränen aus, stützte sich auf seine mittlerweile nur noch an den Außenrändern des Gesichts geschminkte Frau und ließ sich mit gebeugtem Rücken hinausführen. „Ich musste auf ihn schießen“, sagte die außerordentlich hübsche dunkelhaarige Frau zu einem blonden, athletischen Mann in den Dreißigern mit Bürstenhaarschnitt. „Und dabei hatte er so viel von dir.“ Sie lächelte lieb zu ihm hoch. Er sah sie an und zeigte seine Zähne in einem Raubtiergrinsen, doch dann wurde sein Blick von einer muskulösen Blondine in einem engen, schulterfreien Kleid gefangen, die mit glitzernden Augen auf den großen Künstler zuging. „Und das ist alles von dir“, fragte sie mit einer leicht aufgerauhten Stimme und umfasste seinen Arm. „Du bist wirklich so etwas wie ein Genie, was?“ Theiresias wurde so groß, wie er eigentlich war. „Bis auf die Pissebilder ist alles von mir. Welches willst du?“ Sie schmiegte sich einen Augenblick an seine breite Brust und sah sich um. „Ich will nicht die Kunst, ich will den Künstler“, sagte sie sehr laut, als sie den Blick des blonden Athleten bemerkte. Ein junger Mann kam schwankend aus dem Hintergrund, rutschte auf dem glitschigen Boden aus und stürzte direkt vor die Füße der älteren Dame in Grün, die sich den Stuhl mit Hilfe von ein paar unflätigen Flüchen von der Lilafarbenen erkämpft hatte. „Was will dieser verfickte Arsch da unten“, fragte sie die sie umgebenden Menschen, ohne jemanden direkt anzureden. „Mir unter den Scheißrock gucken, was?“ – „Ist er nicht einfach süß“, fragte ein sehr adrett gekleideter, hübscher junger Mann seinen begeistert umherschauenden Nachbarn, den er an der Hand hielt. „Wer ist jetzt schon wieder süß, du schmierige Tunte?“ – „Na, Tom! Schau nur, mit welchem Ekel er diese Frau herumführt. Ich sage dir, er ist einer von uns!“ – Eine Streifenwagenbesatzung mit gezogenen Schlagstöcken brach herein und verprügelte den jungen Mann, der auf dem Boden vor der älteren Frau in Grün in tiefen Schlaf gefallen war und sich sehr zum Unwillen des hageren, kahlen Herrn friedlich einnässte. „Komm, weg hier“, sagte er zu seiner Frau, deren Hahnenkamm sich auf die linke Seite geneigt hatte. „Die Bilder riechen schon so komisch, aber das ...“ – „Also, das gefällt mir, Ellen“, sagte ein Mann mit roter Lederjacke und Pferdeschwanz im Rhythmus der klatschenden Schläge, die wirkungslos auf den jungen Mann niederprasselten. „Ellen?“ Ellen, eine kastenförmige Frau in rotem Lederkleid, küsste gerade den dritten jungen Mann aus der Ecke, in der farbenfrohe Kleidung vorherrschte. Direkt darauf wurde sie, noch atemlos, vom latzhosentragenden Spielleiter einem weiteren zugeteilt. „Nicht länger als dreißig Sekunden, meine Dame. Das hier ist Arbeit, nicht Vergnügen!“ – „Ja, die Kunst“, sagte ein langhaariger, verbittert dreinschauender Pfarrer mit Ohrring zu einer äußerst dürren Dame. „Sie belehrt nicht nur, sondern läutert, sage ich immer. Sie befreit den Menschen aus der dicken Schale seiner tierischen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher