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Vampyr

Vampyr

Titel: Vampyr
Autoren: Brigitte Melzer
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in der Nähe war, musste er das gehört haben.
    Als selbst nach einer Weile alles still blieb, wollte Catherine ihren Weg fortsetzen. Da gewahrte sie einen sanften Lichtschimmer, der zu ihrer Linken über den Boden kroch. Sofort blieb sie stehen. Ihre Augen folgten dem Ursprung bis zu einer Öffnung. Halb verborgen hinter der Ruine des Gesindehauses führte eine schmale Steinstiege unter der Burgmauer in die Tiefe. Ein Zugang, den sie ohne das Licht niemals entdeckt hätte.
    Catherine sah sich nach Daeron um, doch sie konnte ihn zwischen den Trümmern nicht ausmachen. Unentschlossen wandte sie sich wieder der Öffnung zu. Wenn sie jetzt ging, um nach Daeron zu suchen, verschwendete sie womöglich kostbare Zeit, die Martáinns Leben retten konnte.
    Ruf um Hilfe und ich bin sofort da. Das konnte sie unmöglich tun. Nicht wenn ihr Vater nicht gewarnt werden sollte. Sie schluckte einen Fluch hinunter und wandte sich den Stufen zu. Nur einen kurzen Blick. Sobald sie wusste, was sie unten erwartete, würde sie Daeron holen. Ob sie ihn rufen oder nach ihm suchen wollte, hing ganz davon ab, was sie am Fuße der Treppe vorfinden würde.
    Vorsichtig setzte sie den Fuß auf die oberste Stufe. Ich muss den Verstand verloren haben! Modrige Feuchtigkeit erfüllte die Luft mit ihrem schweren Aroma und hüllte Catherine mehr und mehr ein, je tiefer sie hinabstieg. Wasser perlte von den Wänden und sammelte sich in kleinen Pfützen auf dem Boden. Ein dicker Teppich aus Flechten dämpfte ihren Schritt. Plötzlich vernahm sie ein Geräusch. Ein leiser Singsang schwebte durch den Gang. Die Stimme war unverkennbar. Vater.
    Alles in ihr schrie danach, umzudrehen und zurück nach oben zu laufen um Daeron zu suchen. Doch etwas zog sie weiter. Stufe um Stufe ließ sie hinter sich, angelockt von seinem monotonen Gesang. Worte in einer fremden Sprache, die ihren Verstand streiften und ihr wieder entglitten, bevor es ihr gelang, ihre Bedeutung zu erfassen.
    Nur zwei Stufen trennten Catherine noch vom Ende der Treppe. Jetzt erkannte sie zu ihrer Linken einen Durchbruch im Mauerwerk, der in eine Kammer zu führen schien. Von dort kamen das Licht und der Gesang. Sie setzte den Fuß auf die letzte Stufe. Ein weiterer Schritt, dann könnte sie in die Kammer schauen. Vorsichtig schob sie sich an die Ecke heran. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie einen Schatten auf dem Boden, der menschliche Gestalt annahm, als sie den Kopf wandte. John. Sein Hals war unnatürlich verrenkt, doch seine Züge zeigten nicht das geringste Anzeichen von Schrecken. Er hatte den Tod nicht bemerkt, der auf leisen Sohlen zu ihm gekommen war.
    Catherines Blick schoss in den Raum. Ihr Vater stand vor einem Steinaltar und wandte ihr den Rücken zu. Die Arme in die Höhe gereckt, die Hände zu Klauen gekrümmt. Sein Gesang war zu einem leisen Murmeln abgeklungen. Da entdeckte sie Martáinn. Er regte sich nicht. Lederriemen, gehalten von vier eisernen Ringen, die in den Stein eingelassen waren, fesselten seine Arme und Beine auf den Altar. Der Stein unter ihm war dunkel gefärbt von uraltem getrocknetem Blut. Seine schweißnassen Züge waren ohne jedes Leben. Für einen Moment fürchtete Catherine, sie sei zu spät gekommen. Dann jedoch sah sie, wie sich seine Brust unter regelmäßigen Atemzügen hob und senkte. Sein Hemd war schmutzig und am Ärmel zerrissen, dennoch schien er unverletzt.
    Ihr Vater beendete seinen Gesang und ließ die Arme sinken. »Ich habe auf dich gewartet, Catherine«, sagte er ohne sich umzudrehen.
    Catherine erstarrte. »Wie lange weißt du schon, dass ich hier bin?«
    Mit einem leisen Lächeln wandte er sich ihr zu. »Ich weiß es, seit du deinen Fuß auf die oberste Treppenstufe gesetzt hast.«
    Sie schaute zu Martáinn. Seine Augen waren noch immer starr zur Decke gerichtet und so leer, dass Catherine sich fragte, ob irgendetwas von dem, was um ihn herum vorging, zu ihm durchdrang. Da bemerkte sie einen Dolch, der neben seinem Kopf auf dem Altarstein lag. Das Licht der Kerzen wurde von der gezackten Klinge aufgefangen und enthüllte die verschlungenen Runen, die in den Griff der Waffe geätzt waren. Wenn es ihr gelänge, an ihrem Vater vorbeizukommen, bräuchte sie nur den Dolch zu ergreifen und damit Martáinns Fesseln zu durchtrennen, dann …
    Was dann? Sie wusste nicht, was ihr Vater getan hatte, um Martáinn in diesen Zustand zu versetzen. Was, wenn sich daran nichts änderte, nachdem sie ihn von seinen Fesseln befreit hatte? Was, wenn Martáinn ihr
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