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Vampirmelodie

Vampirmelodie

Titel: Vampirmelodie
Autoren: Charlaine Harris
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getan? Ich ging die Sache noch einmal haarklein durch und beschloss schließlich, ja, das hatte ich. Und außerdem beschloss ich, dass ich einen Tag frei brauchte. Vielleicht sogar mehr als einen. Ich rief im Merlotte’s an und erzählte Kennedy, ich hätte die Grippe. Sie versicherte mir, dass man mich nur im Notfall anrufen, ansonsten aber in Ruhe lassen würde, damit ich mich erholen konnte.
    »Ich hätt ja nie gedacht, dass man sich im Juli ’ne Grippe einfangen kann. Aber Sam hat auch schon angerufen und genau das Gleiche erzählt«, sagte Kennedy mit einem Lächeln in der Stimme.
    Ich dachte: Verdammt .
    »Vielleicht habt ihr euch ja gegenseitig angesteckt?«, meinte sie schelmisch.
    Ich sagte kein Wort.
    »Okay, okay, ich werd bloß anrufen, wenn hier alles in Flammen steht«, fuhr sie fort. »Lass es dir gut gehn und erhol dich von der Grippe.«
    Ich weigerte mich, mir Gedanken darüber zu machen, welche Gerüchte dadurch zweifellos losgetreten werden würden. Ich schlief viel, ich weinte viel. Ich räumte alle Schubladen in meinem Schlafzimmer auf: Nachttisch, Frisierkommode, Kleiderkommode. Ich warf nutzloses Zeug weg und sortierte andere Dinge auf eine Weise, die mirvernünftiger erschien. Und ich wartete darauf … von irgendjemandem zu hören.
    Doch das Telefon klingelte nicht. Ich hörte nichts, davon aber jede Menge. Und ich hatte auch jede Menge »nichts« im Haus, außer Tomaten. Also aß ich sie alle auf Sandwiches, und schon in dem Augenblick, als die roten gepflückt waren, hingen wieder neue grüne an den Stauden. Ich briet einige der grünen Tomaten, und als die anderen rot geworden waren, machte ich mir zum ersten Mal überhaupt meine eigene Salsa. Die Blumen blühten und blühten und blühten, bis ich in fast jedem Zimmer des Hauses eine Vase voll davon stehen hatte. Und ich ging sogar auf den Friedhof, um ein paar an Grannys Grab zu bringen und einen Strauß auf Bills Veranda zu legen. Wenn ich sie hätte verspeisen können, hätte ich bei jeder Mahlzeit einen vollen Teller gehabt.
Anderswo
    Die rothaarige Frau trat langsam und argwöhnisch durch das Tor des Gefängnisses ins Freie, so als würde sie einen üblen Streich erwarten. Sie blinzelte in dem strahlenden Sonnenschein und begann, auf die Straße zuzugehen. Dort parkte ein Auto, doch dem schenkte sie keinerlei Beachtung. Es kam der rothaarigen Frau gar nicht in den Sinn, dass die Insassen auf sie warten könnten.
    Ein Durchschnittsmann stieg an der Beifahrerseite aus. Genau so kategorisierte sie ihn: ein Durchschnittsmann. Durchschnittlich braunes Haar, durchschnittlich groß, durchschnittlich gebaut und ein durchschnittliches Lächeln auf den Lippen. Seine Zähne jedoch waren strahlend weiß und perfekt. Eine dunkle Sonnenbrille verbargseine Augen. »Miss Fowler«, rief er. »Wir sind hier, um Sie abzuholen.«
    Zögernd drehte sie sich zu ihm herum. Die Sonne schien ihr ins Gesicht, und sie musste die Augen zusammenkneifen. Sie hatte so vieles überlebt – gescheiterte Ehen, kaputte Beziehungen, das Dasein als Alleinerziehende, Verrat, eine Schusswunde. Sie hatte nicht vor, je wieder ein leichtes Opfer abzugeben.
    »Wer sind Sie?«, fragte sie erhobenen Hauptes, auch wenn sie wusste, dass die Sonne gnadenlos jede Falte in ihrem Gesicht und jeden Mangel des billigen Mittels offenlegte, mit dem sie sich im Bad des Gefängnisses die Haare gefärbt hatte.
    »Erkennen Sie mich nicht? Wir sind uns bei der Anhörung begegnet.« Die Stimme des Durchschnittsmannes war beinahe sanft. Er nahm die dunkle Sonnenbrille ab, und in ihrem Kopf regte sich eine Erinnerung.
    »Sie sind der Rechtsanwalt, der, der mich rausgepaukt hat«, sagte sie lächelnd. »Ich weiß zwar nicht, warum Sie das getan haben, aber ich schulde Ihnen Dank. Ins Gefängnis habe ich ganz sicher nicht gehört. Ich möchte meine Kinder sehen.«
    »Und das werden Sie auch«, erwiderte er. »Bitte, bitte.« Er öffnete die hintere Autotür und forderte sie mit einer Geste auf, einzusteigen. »Es tut mir leid. Ich hätte Sie mit Mrs Fowler ansprechen sollen.«
    Sie war froh, in die weichen Polster der Rückbank sinken zu können, froh, in der angenehmen Kühle des Wageninneren zu schwelgen. Das war der größte Komfort, den sie seit vielen Monaten genossen hatte. Weiche Sitze und Höflichkeit (oder gute Matratzen und dicke Handtücher) lernt man erst so richtig schätzen, wenn man sie nicht mehr hat.
    »Eine Mrs war ich ein paar Mal. Und eine Miss auchmal«, sagte sie. »Ist mir
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