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v204640

v204640

Titel: v204640
Autoren: Susanna Calaverno
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die Gefährten meiner Tage nennen. Hatten noch im vergangenen Jahr die Kinder den Löwenanteil meiner Zeit eingefordert, so waren sie über die Wintermonate plötzlich selbstständig geworden. Meine Mutterrolle bestand aus Wecken, zum Frühstück überreden, Mittagessen herrichten, hier und da Taxidienst spielen und die abendliche Deadline überwachen. Die Freunde gaben den Lebensstil vor, Eltern waren auf einmal peinlich. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich hauptsächlich erleichtert war. Ich war nie eine Vollblutmutter gewesen. Die Bastelstunden im Kindergarten jagen mir, in der Erinnerung an unübersehbare Massen kreischender Kleinkinder und betulicher Mamas, noch immer kalte Schauder über den Rücken. Ich tat, was getan werden musste, aber jeden Entwicklungsschritt begrüßte ich mit echter Freude. Die Geisteshaltung: »Ach, wie schade, dass sie so schnell groß werden!« befremdete mich.
    Die neue Freiheit erwies sich, zumindest momentan, größer als nötig. Auch Rüdiger, der Museumsleiter ist, war seit Monaten kaum noch ansprechbar. Die neue Ausstellung, eine Retrospektive über die Maler der Region, sollte das Highlight der Saison werden. So saßen ihm nicht nur diverse Bürgermeister, Fremdenverkehrsamtschefs, Sponsoren und sonstige Amtspersonen im Nacken – auch er selber setzte sich massiv unter Druck. Geduldig bis zur Selbstaufgabe hatte ich diese kritische Zeit abgewartet. Für heute stand endlich die Ausstellungseröffnung auf dem Spielplan und ich hoffte, vom Ende der Stressphase und dem Hochgefühl des Erfolgs zu profitieren. Für heute Abend hatte ich deshalb gewisse Pläne …
    »Annette!«
    Ich schreckte hoch. Meine Güte, war es schon so spät? Die Gartenhandschuhe, die zu tragen ich mir schwer genug angewöhnt hatte, verdeckten die schmale silberne Uhr, die ich von meiner Großmutter zur Konfirmation geschenkt bekommen hatte und die einfach nicht kaputt gehen wollte.
    »Mein Gott, was machst du da auf dem Boden? Hast du mal auf die Uhr gesehen? Ich dachte, du bist fertig.«
    Rüdigers vorwurfsvoller Blick blieb anklagend an meinem alles andere als »gerichteten« Outfit hängen. In früheren Jahren hätte es eher geheißen: »Hast du dir wehgetan?«
    Seufzend rappelte ich mich aus meiner kretischen Melisse hoch, streifte die verkrusteten Handschuhe ab und klopfte die Pflanzenreste von meiner Hinterpartie.
    »Tut mir leid, ich habe nicht auf die Zeit geachtet.«
    Rüdiger schnaubte viel sagend durch die Nase und schüttelte resigniert sein Haupt mit dem modischen Ultrakurzschnitt.
    »Ist es wirklich zu viel verlangt, dass du zu einem festgelegten Zeitpunkt fertig bist? Ich hetze wie ein Blöder, um dich abzuholen und du hockst seelenruhig im Garten. Deine Nerven möchte ich haben!«
    Ich verkniff mir eine spitze Antwort, weil er tatsächlich mit den Nerven herunter war. Die dunklen Schatten unter seinen Augen und deren müder Ausdruck sprachen eine deutliche Sprache.
    »Nimm dir doch ein Eis und leg dich für ein paar Minuten in den Liegestuhl unterm Kirschbaum. Es wird dir gut tun. Ich bin wirklich sofort fertig.«
    Damit raste ich ins Haus und versuchte, mein Versprechen zu halten.

Kapitel 2:
Cuisine française
    Natürlich lief alles glatt. Der Landrat schaffte es sogar zwischen Lobeshymnen auf die eigene Person und Partei, Rüdigers Leistung nicht ganz unter den Tisch fallen zu lassen. Die Kollegen zeigten Reaktionen zwischen Bewunderung und Neid und die Bürgermeister konnten alle ihre und der Gemeinderäte Weitsicht angemessen herausstellen. Festreden sind eine Art Vorhölle. Man hat den Eindruck, jeder, der auch nur eine Spur kurzweilig wirken könnte, wird davon ausgeschlossen, eine zu halten. Reden scheinen vor allem dazu da zu sein, sich selbst und alle die zu loben, bei denen man sich einschmeicheln will. Für diesen Kreis mag das ja ganz unterhaltsam sein, für alle anderen ist es eine Tortur.
    Auch diese Prüfung ging vorüber. Ein kleiner Kreis kam in den Genuss der allerersten Führung und nun saß man entspannt beim gemeinsamen Abendessen. Ich blickte kurz zu Rüdiger am anderen Tischende herüber, der gelöst, geradezu übermütig, die Dame Hasenfratz hofierte – Gattin des Sparkassendirektors, unseres größten Sponsors. Er kann ungeheuer charmant sein, wenn er will.
    Plötzlich erstarrte ich. Ich musste mich getäuscht haben. Oder es war schlicht und einfach ein Versehen, dass das Knie meines Tischnachbarn sanft, aber beharrlich an meinem Oberschenkel entlangstrich.
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